Kaste der Unsterblichen
verließ, hatte sich die Nacht über Clarges herabgesenkt. Als er auf dem Gehweg stand, konnte er den kaum hörbaren, zischenden Atem der Metropole wahrnehmen, die zitternden Gedanken von zehn Millionen Bewußtsein.
Ein paar Kilometer weiter südlich lagen Eigenburg und der Raumhafen. Waylock widerstand der plötzlichen Versuchung, die Star Enterprise zu besuchen. Er ließ sich vom Gleitband der Uferstraße stromabwärts tragen, am Kai und den Docks entlang, vorbei an den Lagerhäusern von Wibleside und schließlich bis zum Marbonedistrikt. In der Marbonestation stieg er hinab zum Röhrenbahnterminal, betrat dort eine Kapsel und tastete als Bestimmungsort den Code für die Esterhazy-Station ein. Fast unmittelbar neben dem Café Dalamatia gelangte er wieder zur Stadtebene empor.
Er nahm an seinem Lieblingstisch Platz. Kurz darauf setzte sich ein Bekannter zu ihm, der ihn Odin Laszlo vorstellte, einem hageren jungen Mann mit Eulenaugen, der sich als Mathematiker im Aktuarius um Steigung bemühte. Gleichzeitig machte Laszlo eine Nebenkarriere als Choreograph. Als er hörte, daß Waylock im Palliatorium von Balliasse arbeitete, wurde Laszlo ganz aufgeregt.
»Erzählen Sie mir davon! Ich trage mich mit der Idee eines einzigartigen, wenn auch ziemlich makaberen Balletts: Ein Tag im Leben eines Kattos. Ich zeige die Morgendämmerung und stelle das Bewußtsein des Kattos als klaren, reinen Kristall dar. Dann kommt die langsame Zunahme der Anspannung, die Kulmination des Wahns, der Zwang und die erbärmliche Qual. Anschließend Nacht, die finstere Hoffnungslosigkeit und das langsame Nachlassen der peinigenden Trübsal in den frühen Morgenstunden.«
Waylock begann sich unbehaglich zu fühlen. »Sie erinnern mich wieder an meine Arbeit, und ich bin hierhergekommen, um sie zu vergessen«, klagte er.
Er trank seine schon zur Gewohnheit gewordene Tasse Tee aus, wünschte seinen beiden Bekannten eine gute Nacht, schritt den Allemande-Boulevard hinauf, bog dann in den Phariotweg ein und kehrte so in seine Wohnung zurück.
Er öffnete die Tür. Die Jacynth Martin saß ruhig auf seiner Couch.
ACHT
1
Die Jacynth erhob sich. »Ich hoffe, Sie verzeihen mein Eindringen. Die Tür war offen, und so habe ich mir erlaubt einzutreten.«
Waylock wußte, daß die Tür verschlossen gewesen war. »Ich freue mich darüber.« Er trat mit einem langen Schritt auf sie zu, umarmte sie und gab ihr einen herzlichen Kuß. »Ich habe dich schon erwartet.«
Die Jacynth machte sich von ihm los und sah Waylock unsicher an. Sie trug ein hellblaues, ärmelloses Trikot, das mit einer weißen Tunika, weißen Sandalen und einem dunkelblauen Umhang mit weißen Streifen kombiniert war. Ihr offenes Haar floß golden auf die Schultern herab. Ihre Augen erschienen groß und dunkel, und die Pupillen hatten sich geweitet.
»Du bist außergewöhnlich«, sagte Waylock. »Wenn du dich registrieren ließest, würdest du durch deine Schönheit allein in Amarant aufsteigen.«
Er wollte sie erneut umarmen, doch sie wich zurück.
»Ich muß Sie einer Illusion berauben«, erwiderte sie kühl. »Welcher Art auch immer Ihre Beziehungen zur früheren Jacynth waren, mich betreffen sie nicht. Ich bin die neue Jacynth!«
»Die neue Jacynth? Aber du heißt doch gar nicht Jacynth!«
»Das kann ich wohl am besten beurteilen.« Sie wich noch einen weiteren Schritt zurück und maß ihn von Kopf bis Fuß. »Sie sind … Gavin Waylock?«
»Natürlich.«
»Sie haben große Ähnlichkeit mit jemand anders … einem Mann namens Grayven Warlock.«
»Der Grayven Warlock lebt nicht mehr. Ich bin sein Relikt.«
Die Jacynth hob die Augenbrauen. »Tatsächlich?«
»Allerdings. Aber ich verstehe nicht, warum Sie hier sind.«
»Ich werde es Ihnen erklären«, gab sie lebhaft zurück. »Ich bin Die Jacynth Martin. Vor einem Monat wurde meine Früherinkarnation in Kharnevall entleibt. Es hat den Anschein, als hätten Sie mich während eines Teils des Abends begleitet. Wir haben zusammen das Café Pamphylia besucht und trafen dort Basil Thinkoup und später Den Albert Pondiferry und Den Denis Lestrange. Unmittelbar vor meinem Hinscheiden sind Basil Thinkoup und Sie gegangen. Trifft das soweit zu?«
»Ich muß meine Gedanken ordnen«, erwiderte Waylock. »Offenbar heißen Sie nicht Mira Martin und sind auch keine Lulk …«
»Ich bin Die Jacynth Martin.«
»Und es stieß Ihnen ein Unglück zu?«
»Haben Sie das nicht bemerkt?«
»Wir sahen, wie Sie über dem Tisch
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