Katakomben (Van den Berg) (German Edition)
abzumelden. Das war höchst ungehörig“, fügte Monsieur Balbo mit erhobenem Zeigefinger hinzu.
„Hat René mit ihnen über ihre Probleme gesprochen?“, hakte Nicole nach. „Sie hatte keine. Bei uns hatte sie alles, was sie brauchte. Ihre Schulleistungen waren ordentlich. Es gab nie irgendwelchen Ärger“, sagte der Mann mit einer Mimik, die keinen Raum für Zweifel ließ. „Warum ist sie dann abgehauen?“ „Das war nur der Einfluss dieser Freundin, die hatte so Flausen im Kopf.“ „Haben sie den Namen?“ „Lucy Brentano, sie wohnt gleich nebenan.“ „Wir würden gerne Renés Zimmer sehen.“
„Wir haben nichts verändert, seit sie weg ist“, sagte die Frau, als sie den kleinen Raum betraten. An den Wänden hingen zwei Poster, eines von Tokio Hotel, das andere von Christina Aguilera. Der Schreibtisch war offensichtlich von Ikea. Schulhefte und ein paar Bücher lagen darauf, die Stifte waren ordentlich in einer Dose sortiert. Der Teppich sah aus wie frisch gesaugt. Deflandre durchsuchte die Schubladen und den Kleiderschrank.
Sie hofften, irgendetwas zu finden, was ihnen darüber Aufschluss geben konnte, wie dieses Mädchen wirklich tickte, etwa ein Notizbuch oder persönliche Aufzeichnungen. „Hat Ihre Tochter ein Tagebuch geführt?“ „Nein, das wüssten wir“, sagte der Vater wie aus der Pistole geschossen. Genau in diesem Moment zauberte Deflandre ein kleines rotes Büchlein aus dem Schreibtisch hervor. Die Eltern blickten verwundert. „Was ist das denn?“ „Sieht ganz so aus wie ein Tagebuch“, grinste Deflandre, dem die Leute gehörig auf die Nerven gingen.
„Das ist bestimmt nicht von ihr“, warf die Mutter mit einer abfälligen Handbewegung ein. „Das hätten wir gefunden.“ „Na ja, es war sehr gut versteckt“, klärte Deflandre auf, „es war nicht in der Schublade, sondern unten drunter, mit Klebestreifen befestigt.“ Die Eltern schauten sich ratlos an. „Ihre Tochter wollte wohl nicht, dass es in unbefugte Hände gerät“, stichelte Deflandre mit breitem Grinsen.
Das Buch war verschlossen. „Ich habe jetzt keinen Nerv, den Schlüssel zu suchen“, maulte van den Berg und brach das goldene Schloss mit einem Ruck auf. Balbo verzog leicht angesäuert die Mundwinkel. Der Kommissar blätterte die Seiten langsam um. „Schau an, ein Tagebuch. Ist das die Schrift Ihrer Tochter?“ Van den Berg schlug die erste Seite auf. „Ja, sieht so aus“, sagte die Mutter mit beleidigtem Gesicht. „Sie werden verstehen, dass wir das mitnehmen müssen.“ Die Polizisten verabschiedeten sich und entschieden, noch mit Renés Freundin zu sprechen.
Viel kam bei der Befragung nicht heraus. Sie erfuhren, dass die kurze Ausreißaktion einer spontanen Laune entsprungen war. Ansonsten gab sich die Freundin überaus einsilbig. „Komische Leute, diese Balbos. Dass René erst ein paar Tage tot ist, schien sie überhaupt nicht zu interessieren“, meinte van den Berg kopfschüttelnd. Nicole schwieg.
9
Jorge gelang es erneut, seine Erscheinung krass zu verändern. Seine Haare rasierte er auf die überschaubare Länge von fünf Millimetern und tönte sie weißblond. Auch seine ursprünglich dunklen Augenbrauen glichen nun denen eines Albinos. Der Killer hatte genügend Finanzreserven, um eine ganze Weile unauffällig leben zu können. Seine Lage würde bald noch weitaus komfortabler werden, denn er hatte noch eine Stange Geld von Hugo zu bekommen.
Jorge hatte ihm geholfen, die Mädchen nach Brüssel zu schaffen und er brachte sie um, als der Jäger sie loswerden wollte. Fünf Jahre lang hatte er die Drecksarbeit für Hugo gemacht, jetzt wollte er das Geld, das ihm zustand. Hugo hatte ihm immer ein paar Tausend Euro in die Hand gedrückt. Aber gemessen an dem, was er für ihn getan hatte, waren das Peanuts. Jorge musste Hugo nur noch ein einziges Mal treffen. Er war in die Hände der Bullen geraten, er wusste, dass Hugo dafür seinen Tod verlangte. Es galt, verdammt vorsichtig zu sein.
Per Mail schrieb er ihm die Summe, die er verlangte, den Treffpunkt und eine Uhrzeit. Hugos Antwort kam postwendend. „Das Geld sollst du haben!“ Ich akzeptiere aber nur den bekannten Ort!“ Jorge überlegte kurz und willigte ein, er entschied sich, das Taxi zu nehmen.
Hugo hatte Jorge Ramos vor zehn Jahren in der Fremdenlegion kennengelernt. Die meiste Zeit kämpften sie in Bosnien mit den IFOR-Truppen. Sie hatten es im 2. Infanterieregiment zum Sergent gebracht und
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