Kater mit Karma
packte. Jonah hasste Koffer. Sie standen für ihn für Verlassenwerden. Allein der Anblick einer kleinen Reisetasche führte zu panischen Sprints durch die Diele, der Weigerung, seine Hausgenossen auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, und natürlich unablässigem Miauen, das unser Trommelfell so lange in Schwingungen versetzte, bis es zu einem diskordanten Dauerton wurde. Jonahs Ohren ragten in die Höhe wie zwei Stück dunkler Toblerone, als er den dunkelgrünen Koffer erblickte. Er war riesig, der größte, den wir besaßen, und noch ganz staubig von der Lagerung auf dem Dachboden. Philip packte für eine sechswöchige Fortbildung an der Stanford University in den USA.
Philip, der ordentlichste Kofferpacker der Welt, schichtete fein säuberlich gefaltete Hemden und Unterhosen in seinen Koffer. Ich sah zu, wie er seine frisch geputzten Schuhe in dafür vorgesehene Schuhbeutel schob, und fragte mich nicht zum ersten Mal, wie wir eigentlich zueinandergefunden hatten und wie es kam, dass wir nicht schon längst wieder auseinandergegangen waren. In diesem Moment sprang Jonah in den Koffer und Philip schrie auf. Eng zusammengerollt, grub Jonah seine Krallen in Philips Unterhosen und blickte flehentlich zu ihm hoch.
»Tut mir leid, Fellbruder«, sagte Philip und hob ihn heraus. »Du kannst leider nicht mit.«
Kaum dass seine Pfoten den Teppich berührten, sprang Jonah erneut in den Koffer und wieder einmal ging es rein und raus, rein und raus … Genervt sperrte Philip Jonah schließlich aus. Unter dem Türspalt quetschten sich eine Nase und zwei Pfoten durch.
Ein Taxi fuhr vor. Philip schloss den Reißverschluss und schleppte den Koffer zur Haustür. Verzweifelt warf Jonah sich dagegen und krallte sich daran fest. Philip nahm Jonah hoch, gab ihm einen Kuss auf die pelzige Stirn und erklärte ihm, er solle sich keine Sorgen machen, er käme bald wieder heim. Der Kater streckte eines seiner langen Vorderbeine aus und presste die Pfote auf Philips Brust. So als wolle er einen Abdruck in Philips Herz hinterlassen.
Nachdem wir es geschafft hatten, uns und den Koffer durch einen Türspalt nach draußen zu schieben, standen wir auf dem Bürgersteig und küssten uns zum Abschied. Wir schauten schuldbewusst zum Wohnzimmerfenster. Keine Spur von Jonah.
»Er vermisst dich nicht mal«, sagte ich.
»Leider doch«, sagte Philip und deutete auf ein Fenster im ersten Stock, aus dem eine einsame Katze auf uns herunterstarrte.
Jonah litt unter dem Fluch der Extrovertierten. Er konnte nicht allein sein. Wenn niemand da war, der sich von seiner schillernden Persönlichkeit bezirzen ließ, verzweifelte er. Wie andere die Luft zum Atmen brauchen, brauchte er Bewunderung, Spiele mit Angelruten und Satinbändern, lange Stunden auf menschlichen Knien und die eine oder andere lustige Jagd durch die Straßen, wenn er einen seiner streng verbotenen Ausflüge in die Nachbarschaft unternahm. Trennungsangst hatte Vivienne das genannt.
Zum Teil konnte ich seine Verunsicherung nachvollziehen. Zu Beginn unserer Ehe hätte ich auch Ärger gemacht, wenn Philip sich einfach für sechs lange Wochen verabschiedet hätte. Aufs Leben hochgerechnet sind anderthalb Monate jedoch ein Klacks. So viele Folgen von The Daily Show (meine neueste Droge) sind es nicht, auch nicht mehr als sechs Episoden von My Life on the D-List (auch wenn Kathy Griffins Sendezeiten ziemlich kapriziös waren) und, ja, vielleicht ein paar hundert Tassen Kaffee. Wie im Flug würden die Wochen vergehen, in denen er interessante Dinge lernen und Bekanntschaften schließen würde (nur hoffentlich nicht mit schönen Frauen mit Zweite-Ehefrau-Ambitionen).
Auch für mich hatte dieses Arrangement Vorteile. Abgesehen davon, dass natürlich alle meine Freundinnen sich in Mitleid ergingen, würden die Mädchen und ich jeden Tag früh zu Abend essen. Wir würden Nudeln vom Italiener futtern und uns dabei How I Met Your Mother ansehen (bis Lydia sich entschuldigte und nach oben ging, um zu meditieren).
Ich würde auch öfter Gelegenheit haben, Lydia davon zu überzeugen, welche Vorzüge es hatte, eine schöne junge Frau zu Beginn dieses Jahrtausends zu sein. Nicht, dass es irgendeinen Effekt gehabt hätte. Wenn Katharine und ich es schafften, Lydia zu einer Liebeskomödie im Kino zu überreden, dann nur unter tiefen Seufzern ihrerseits. Die »heißen« männlichen Stars ließen sie kalt. Maniküre interessierte sie nicht. Wenn ich Zeitschriften kaufte, die Frauen zwischen zwanzig
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