Kater mit Karma
der Hochzeit würde er nicht dabei sein. Ich rief in der Katzenpension an, aber sie war ausgebucht. Zum Glück hatte ich noch Viviennes Nummer. Sie erinnerte sich an Jonah und als ich sie bat, sich während des Hochzeitswochenendes bei uns zu Hause um ihn zu kümmern, erklärte sie sich sofort dazu bereit.
Es gab nur ein kleines Problem. Auch für Ferdie hatten wir keinen Platz. Vivienne sagte, sie könne sich ohne weiteres in unserem Haus um beide Katzen kümmern. Ein Junggesellenasyl für Kater. Hörte sich nach einer prima Sache an.
22.
Funktionsstörung
Ein Hauch von Freiheit ist besser als gar keine.
»Er frisst Gummibänder? Und Merinowolle?«, fragte Vivienne.
Jonah machte genießerisch einen Buckel, als sie ihre Hand über sein Rückgrat gleiten ließ. Sie war der erste weibliche Gast in unserem Haus, den er wirklich zu schätzen wusste. Als ich sah, wie sie mit ihm umging, wie sie ihm die Führung überließ und keine Zuneigungsbekundungen abnötigte, wuchs meine Sympathie für sie noch mehr. Sie hatte zu einem straffen Pferdeschwanz gebundene, knallrot gefärbte Haare – das stand nicht vielen Frauen über fünfunddreißig, aber Rot war ihre Farbe und passte perfekt zu ihren braunen Augen. Aus diesen Augen sprach Sanftheit, besonders wenn es um Tiere ging – und auch ein gewisser Schalk.
»Alpaka mag er auch, aber eher zum Schlafen als zum Fressen«, erwiderte ich. »Wobei, wenn ich es mir recht überlege, hat er auch schon meine Alpakajacke angeknabbert.«
»Das ist Pikazismus«, sagte Vivienne.
»Wie bei Schwangeren, die Appetit auf Kohlestückchen und solches Zeug haben?«
Vivienne nickte.
Da ich nicht wusste, ob ich ihrer Diagnose trauen konnte, fragte ich sie, ob sie selbst auch eine Katze habe. Ihre Augen begannen zu leuchten. Sie hatte neun.
» Neun?! «, wiederholte ich und mein Meinungsumschwung von »ungewöhnlich« zu »katzenverrückt« musste deutlich zu hören gewesen sein. Ich hatte einmal eine Fernsehsendung über Frauen gesehen, die wie verrückt Katzen sammelten. Das ist eine Zwangsstörung.
Sie fragte mich, ob ich mir ein paar Fotos ansehen wolle. Ich hatte zwar keine Lust, mir Fotos der armen räudigen Dinger anzusehen, die überall in ihrem Haus herumkletterten, wollte sie aber auch nicht vor den Kopf stoßen. Vivienne griff sofort in ihre erstaunlich ordentliche rote Handtasche und zog ein kleines Fotoalbum heraus.
»Das sind alles Ihre Katzen?«, fragte ich und blätterte durch die fein säuberlich eingeklebten Fotos, auf denen lauter wohlgenährte Katzen zu sehen waren. Jede einzelne war ein Musterbeispiel für ein geliebtes und bestens versorgtes Tier. »Wie schaffen Sie das nur?«
»Es ist nicht immer leicht«, sagte Vivienne lachend. »Sie kommen alle aus dem Tierheim. Zoe wurde als kleines Kätzchen auf der Straße ausgesetzt. Igor hat ein Auge verloren und da wollte ihn sein Besitzer nicht mehr. Sally wurde geschlagen. Sie haben alle einiges durchgemacht.«
Ich schämte mich. Der Ärger, den wir mit dem löwengroßen Ego unseres Katers manchmal hatten, war sicher nichts im Vergleich zu dem Zusammenleben mit neun Katzen. Vivienne mochte verrückt nach Katzen sein, aber sonst war sie völlig normal. Bei neun Katzen wunderte es mich jedenfalls nicht mehr, dass sie die Frage, ob sie am Hochzeitswochenende nach Jonah und Ferdie schauen könnte, so gelassen bejaht hatte.
Neugierig geworden schenkte ich Vivienne ein Glas Wein ein und fragte sie ein bisschen aus. Sie war nicht nur eine kenntnisreiche Katzenverhaltensforscherin, sondern auch Tierrechtsaktivistin. Ich hatte noch nie mit einem Tierrechtsaktivisten gesprochen und stellte fest, dass meine diesbezüglichen Vorurteile so wenig zutrafen wie die über Katzenverrückte. Ich hatte immer gedacht, dass Tierrechtsaktivisten eigentlich in die Klapsmühle gehörten. Aber als Vivienne davon erzählte, was sie und ihre Freunde so taten, konnte ich sie nur bewundern.
Einer von Viviennes Freunden hatte kürzlich einen Tipp erhalten, dass die Stadtverwaltung vorhabe, einige verwilderte Katzen, die in einem alten Busbahnhof hausten, einzufangen und zu töten. Daraufhin waren Vivienne und ihre Freunde um Mitternacht auf dem Bahnhofsgelände eingebrochen und hatten die Katzen mitgenommen. Das Ganze klang nach einem Actionfilm.
»Ein Großteil der Katzen war überhaupt nicht verwildert«, berichtete sie. »Sie waren sehr freundlich. Ganz normale Hauskatzen, deren Besitzer sie dort ausgesetzt hatten.«
Sie und ihre Freunde
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