Kater Serano ermittelt 01 - Katzengold
Herzen trage, zurückweist. Vielleicht würde ich ihn auch von einer Plattform stoßen.«
Plötzlich war Selma wieder da. »Was? Nein! Er wollte mich umarmen, nachdem er mir gesagt hatte, dass eine Abtreibung nicht so schlimm sei, wie ich vielleicht befürchte, und dass er mich zum Arzt begleiten würde, wenn ich wollte. Und dass ein Kind im Endeffekt meine Arbeit torpedieren würde und es überhaupt eine Zumutung für das Kleine wäre, mit nur einem Elternteil aufzuwachsen, denn er könne die Vaterrolle nicht einnehmen, ohne sich zu zerreißen, und diesen ganzen Mist. Ich habe mich gewehrt, weil mir plötzlich klar wurde, was für eine miese Rolle ich in seinem Spiel spiele und dass er es offensichtlich sogar noch weiterspielen wollte. Ich habe ihn nur von mir weggeschubst, mehr nicht. Beim letzten Mal ein wenig stärker, weil er nicht aufhörte, mich an sich zu ziehen, und dann -«
»Geht’s noch?«, erkundigte Marion sich besorgt, als Selma sich die Hand vor den Mund schlug. Ein Schluchzen war die Antwort. Marion reichte Selma ein Taschentuch.
»Gleich sind wir durch«, sagte sie. »Stefan Berlich taumelte also zurück, nachdem Sie ihn von sich gestoßen hatten, verlor den Halt und fiel über die Brüstung. Hoch ist sie ja nicht. Sie haben wahrscheinlich gerufen. Und als keine Antwort von ihm kam, sind Sie zu ihm runtergeklettert, um nachzusehen, was passiert war ...«
Marion brach ab, weil Selma den Kopf schüttelte. »Ich bin ... nicht... zu ihm.«
»Nicht?«
»Ich hab den Aufprall gehört, und dann hab ich gerufen. Als nichts zurückkam, hab ich Panik gekriegt.« Panik war auch ungefähr das, was Liebermann jetzt in ihrem Gesicht las. »Erst als ich schon an der Straße war, hatte ich mich so weit im Griff, dass ich noch mal umgekehrt bin. Ich bin zurück und ...«
»Und?«, lauerte Marion.
»Er stand da und klopfte sich den Sand ab.«
»Wer?«, fragte Marion erschüttert.
Selma sah sie groß an. »Stefan, wer denn sonst?«
»Wie weit waren Sie entfernt, als Sie ihn da stehen sehen haben?«
Selma überlegte. »So dreißig, vierzig Meter vielleicht.«
»Und auf die Entfernung haben Sie ihn erkannt? Im Dunkeln?«
»Na, schon. Die Größe stimmte, und außer uns war da ja niemand weit und breit. Und wer soll sich sonst die Sachen abklopfen?« Sie sah Marion furchtsam an.
»Gut, und dann?«, fragte Marion, die ihre äußerliche Ruhe über Selmas letztem Satz zurückgewonnen hatte.
Selma schnäuzte sich geräuschvoll in ihr Taschentuch. »Dann bin ich endgültig abgehauen.«
»Sie sind nicht zu ihm, um zu sehen, ob er sich vielleicht verletzt hat?«
»Wenn er sich verletzt hätte, hätte er vorher auf mein Rufen reagiert. Ich dachte, er ist wütend auf mich, so wie ich auf ihn. Als er da so stand, war ich erleichtert und wollte bloß noch ... in mein Bett. Außerdem hätte ich ihn auf der Vernissage ja ohnehin gesehen.«
Auf Selmas blassem Gesicht mischten sich Tränen und Wimperntusche zu einem interessanten Aquarell, dem Liebermann spontan den Namen Abschied von Stefan gab. Er war erstaunt, wie gut Marion sich schlug.
»Woher wussten Sie von Herrn Berlichs Tod?«
»Von Hans Olbinghaus«, murmelte Selma. »Er hat mich gestern Abend angerufen.«
Marion drehte den Ring an ihrem Mittelfinger, von dem Liebermann wusste, dass sie ihn mit Pflaster umwickelt hatte, damit er passte, und sah in die verspiegelte Scheibe.
»Ich brauche dringend einen Tropfen aus Uwes Maschine«, sagte sie, als sie ins Büro zurückkehrten.
Liebermann fand, dass sie sich alle Tropfen dieser Welt verdient hatte. Er war so beeindruckt, dass er vergaß, es ihr zu sagen. Die verwirrte Selma hatten sie in der Obhut eines Beamten vorerst wieder zurück in die Galerie geschickt. Auch wenn sie Hans Olbinghaus heute vermutlich keine große Hilfe mehr sein würde. Er sah auf die Uhr. In einer Stunde schloss der Kindergarten.
»Nur kurz«, sagte er, während Marions Finger virtuos über die Knöpfe von Uwes Maschine glitten. »Was denkst du von ihr?«
Marions Antwort kam überraschend klar. »Sie müsste eine sehr gute Schauspielerin sein, wenn sie lügt.«
»Darin sind wir uns also einig. Bleibt der dritte Mann.«
»Oder die dritte Frau.«
»Der Vollständigkeit halber«, gab Liebermann zu. »Aber mit der Aufdeckung von Selmas Geschichte ist Olbinghaus’ halbes Alibi hinfällig geworden. Ich habe gesehen, wie verdutzt er war, als sie angab, am Mittwochabend Licht in seinem Wohnzimmer gesehen zu haben.«
»Warum sollte
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