Kathedrale
war sie traurig, wusste aber nicht, weshalb.
»Wieder richtig. Und jetzt will ich, dass du ins Büro zurückgehst und dich um die Buchführung kümmerst. Die Unterlagen erledigen sich nicht von selbst, weißt du?«
Buchführung. Schon bei dem Gedanken schien sich ihr der Magen umzudrehen. Nicht einmal die Verbindung mit einem dieser alterslosen, gehirnsaugenden Trill-Vampire, vor denen Ezri stets das kalte Grausen bekam, konnte schlimmer sein als die Gewissheit, sein gesamtes Leben Bergbauverträgen, Handelsmanifesten und dem Pergium verschreiben zu müssen.
Ich bin auch vereinigt , dachte sie. Und zwar mit Padd-Stapeln und Bergen voller Papierkram.
Hinter ihr erklangen Schritte. Schnell drehte sie sich um. Der Mann, der ihr entgegenkam, war groß, dünn und miesepetrig. Ein Humanoide mit dem faltigen Gesicht eines typischen Bewohners von New Sydney. Auch er trug Bergmannskleidung. In seinen Augen lag ein Funkeln, das Ezri vertraut vorkam – und verhasst, auch wenn sie den Grund dafür nicht kannte.
»Thadeo Bokar«, sagte sie und machte einen Schritt zurück. Langsam kehrten die Erinnerungen wieder.
Bokar grinste und präsentierte ebene Reihen strahlend weißer Zähne. »Ich bin gekommen, um Ihre jüngste Bestellung zu besprechen, Miss Tigan. Ich glaube, Sie wären gut beraten, ein paar … weitere Posten zu ordern.«
Ezri bemühte sich, ihren Zorn im Zaum zu halten. »Wozu, Bokar? Um das Orion-Syndikat zu schmieren, damit hier unten nicht noch mehr Höhlen auf mysteriöse Weise einstürzen?«
Bokar war ein schlechter Schauspieler, wenn es darum ging, Sympathie zu zeigen. »Es muss furchtbar gewesen sein, beide Brüder auf diese Weise zu verlieren. So plötzlich und tragisch. Nach einem solchen Erlebnis lernt man das, was einem geblieben ist, erst richtig zu schätzen. Und ich vermute, man tut alles erdenklich Mögliche, um es zu schützen.«
Ezri warf einen Blick zu Yanas, die sie anklagend ansah.
»Was sagt er da, Ezri? Hast du etwa einen Handel mit dem Orion-Syndikat abgeschlossen? Ich wusste, dass uns dieser Ferengi mit seinen neuen Minen auf Timor II finanziell zusetzen würde. Aber ich hätte nie gedacht, dass du so tief sinken würdest …« Sie brach ab, und für einen Moment war nur noch die eigenartige Halb-Musik zu hören, die noch immer durch den steinigen Gang hallte.
Ezri sah zu Yanas, den Ansatz einer Entschuldigung auf den Lippen. Doch die Musik ließ sie zögern. Denn auf einmal erkannte sie sie wieder. Erinnerte sich an sie. Das hatte sie früher schon einmal gehört, auf der Sagan , während der Erkundung der Oort-Wolke in System GQ-12475. Das war kurz vor der ersten Begegnung mit dem fremden Objekt gewesen – der Kathedrale oder dem Anathema –, in das sie sich nun gebeamt hatte. Mit Nog. Und Julian.
Und Dax.
Abermals sah sich Ezri widersprüchlichen Erinnerungen ausgesetzt – und erkannte, dass sie sich für nichts entschuldigen musste. Nicht sie hatte das Familienunternehmen mit dem Orion-Syndikat verbandelt. Das war Janel gewesen.
Aber Janel war tot. Seit Jahren schon.
Verstellt in ihrer Weltlichkeit. Sacagaweas Windspielstimme erklang in ihrem Kopf wie aus einer Art spektraler Innenwelt heraus. Ungebunden. Treibend/verloren zwischen Welten.
Janel ist nicht tot , sagte sie sich und schüttelte den Kopf. Sie fühlte sich benommen, als hätte sie jemand geschlagen. Und Norvo auch nicht. Nicht in meiner Welt. Die beiden blieben bei Mutter, und das Syndikat streckte erst Jahre später seine Finger nach ihnen aus. Bis dahin hatte sich Ezri durch die Akademie gekämpft und einen Posten an Bord der Destiny angenommen.
Nein, Ezri war von zu Hause aufgebrochen und nicht zurückgekehrt. Sie hatte sich der ewigen Kritik ihrer Mutter widersetzt, die ihre Brüder so lange Jahre an der kurzen Leine gehalten hatte. Anders als Janel und Norvo hatte Ezri sich nicht von Yanas’ ständigen Machtspielchen beeindrucken lassen.
Und mit einem Mal wusste sie, warum die Kathedrale sie mit einem Abbild Yanas Tigans konfrontierte. Es war eine Repräsentation ihres Bedürfnisses, sich von den unzähligen Ezri Tigans abzugrenzen, die nicht sie waren. Es war ihr Prüfstein, die Erinnerung an einen Weg, den eine Phantom-Ezri in einer hypothetischen anderen Wirklichkeit beschritten hatte.
Diese vom Artefakt erzeugte Gestalt dort vor ihr musste der Schlüssel sein, um nicht von dem Leben, das sie kannte, entwurzelt zu werden, wie Shar es ausgedrückt hatte, und im Strom der Vielleichts verlorenzugehen.
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