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Kathedrale

Kathedrale

Titel: Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy Mangels
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ihnen sah er die wilde, interdimensionale Architektur des fremden Artefaktes.
    Ich war von Anfang an in ihm. Alle von der Sagan waren das.
    Er spürte, wie alles, an das er sich nicht länger hatte erinnern können, auf einmal zu ihm zurückkehrte. Den Blick auf die sich stetig verändernden Muster aus Balken, Säulen und Bögen über sich gerichtet, fühlte er jedes genetisch aufgewertete Talent, das er für immer verloren geglaubt hatte, neu in sich wachsen. Dann sah er zum jungen Jules.
    Einen langen Moment über wusste er nicht, was er sagen sollte. »Meine Güte, was habe ich da nur getan?« Eigenartige, kristallin wirkende Laute – ähnlich denen, die er an Bord der Sagan gehört hatte – erklangen irgendwo in der Ferne.
    Der Junge lächelte. »Du hast mich endlich erkannt«, antwortete er.
    »Gerettet ist das passendere Wort, glaube ich. Und es war dumm von mir. Es hätte das, was das Artefakt mir angetan hat, zum Normalzustand werden lassen sollen.«
    »Nein.« Jules schüttelte den Kopf. »Es war die Tat eines einfachen, aber anständigen Mannes.«
    »Aber ich verhinderte, dass du die … die ‚Prozeduren‘ erlebst. Was macht das aus mir ?«
    »Du hast nur eine Verbindung zu einem ungesunden Teil deiner Vergangenheit gekappt«, sagte Jules und deutete nach oben. »Betrachte deine Hassliebe zu mir als erledigt.«
    Julian folgte der Geste mit Blicken und sah nun die majestätische Kuppel der Hagia Sophia über sich. Die dissonante und doch nicht unangenehme Musik hallte durch das Innere der Basilika, deren Galerie ins Endlose zu führen schien. Jedes Gemälde, jeder Wandteppich, jede Skulptur schien wieder am richtigen Platz und im Originalzustand zu sein.
    Meine Gedächtniskathedrale.
    Erleichterung wetteiferte mit Verwirrung. »Wie?«
    Jules strahlte ihn an. »Du wirst deine eigenen Antworten finden müssen, Julian«, sagte der Junge und ging los. Julian folgte ihm schnell und hatte keine Mühe, Schritt zu halten.
    Die unerwartete Rückkehr seiner mentalen Stärke erfüllte ihn mit großer Dankbarkeit und präsentierte ihm nahezu umgehend die erste Antwort: Ich habe meinen Frieden mit Jules gemacht. Vermutlich hat mich das von allen anderen Quantenrealitäten getrennt. All den Welten, in denen Mutter und Vater mich nie nach Adigeon Prime brachten.
    Jules nickte, als würde er Julians Gedanken kennen. Natürlich kennt er sie , dachte Julian. Wie sollte er sie nicht kennen?
    »Das ist ein Teil des Grundes«, sagte der Junge und hielt neben der Treppe an, die zur Hauptbibliothek führt. »Aber nicht der größte Teil.«
    »Soll das heißen, ich begreife doch noch nicht, was hier geschah?« Julian machte einige Schritte die Treppe hinauf. Als er die fünfte Stufe erreichte, legte er all sein Gewicht darauf, und sie knarrte zufrieden stellend. Wie sie es sollte.
    »Mhm«, murmelte der Junge.
    Julian sah zu ihm hinunter. »Das ergibt keinen Sinn. Wie kann dieser Ort meine ‚Weltlichkeit‘ korrigieren, wenn ich die Prozeduren, die dich zu mir machten, verhindert habe?«
    Statt einer Erwiderung trat Jules zu einem nahe gelegenen, großen Fenster. Julian verließ die Stufen und folgte ihm. In der Scheibe konnte er sich und den Jungen gespiegelt sehen und erkannte, dass er wieder seine Sternenflottenuniform trug – mitsamt Kommunikator. Was wohl aus dem Raumanzug geworden war, den er beim Beamen mit dem Außenteam getragen hatte?
    Das Kind lächelte ihn an. »Lass mich dir einen Hinweis geben. Jede Entscheidung, die du hier drinnen trafst, geschah ohne den Bonus der genetischen Aufwertung auf Adigeon Prime.«
    »Mir blieb ja auch keine Wahl.«
    »Genau«, sagte Jules. »Aber trotzdem hast du Mut und Leidenschaft bewiesen. Und zwar nicht nur hier, sondern auch auf der Defiant .« Das Kind trat näher, als wollte es umarmt werden.
    Julian legte die Arme um es – und war überrascht, als der kleine Körper plötzlich noch kleiner zu werden schien! Im Spiegelbild sah er Jules buchstäblich verschwinden. Es war, als verschmölze er mit ihm. Einzig sein Lächeln hing einen Moment länger in der Luft, dann verblasste es ebenfalls.
    Und in dieser Sekunde begriff Julian, was diese unerwartete Begegnung mit seinem lange vergangenen Alter Ego bedeuten sollte. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er gesehen, dass es im Kern keinen Unterschied zwischen Jules und Julian gab.
    Jules hat mich nie verlassen. Er war mein Leben lang bei mir. Und Adigeon Prime hat das nie geändert.
    Julian sah auf und betrachtete die

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