Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
zu diesem Thema gehalten.«
»Ich wusste gar nicht, dass ihr beide schon als Teenager so morbide drauf wart.«
»Es gibt eine Menge Dinge, die du nicht über mich weißt.« Katrin sah ihn provozierend an.
Manfred grinste. »Aber ich werde sie herausfinden, wart’s nur ab. Und jetzt zu dem Galgen. Stand er tatsächlich genau dort?«
»So ungefähr. Genau lässt sich das nicht mehr sagen. Dieses Gelände war im Mittelalter eine Insel, die außerhalb des Stadtgebiets lag. Der Galgen stand weithin sichtbar auf einem Hügel. Zur Abschreckung. Heute gibt es weder die Insel noch den Hügel, auf den Meter genau kann man also nicht sagen, wo der Galgen stand. Aber so ungefähr kommt es hin.«
»Das kann kein Zufall sein«, murmelte Manfred nachdenklich. »Und du hast recht. Wenn der Mörder diesen Ort bewusst ausgewählt hat, dann ist es eher unwahrscheinlich, dass es dieser Hofleitner war. Das passt nicht zu ihm.« Er sah Katrin in die Augen. »Und für so was hast du dich schon als kleines Mädchen interessiert?«
Katrin lachte. »Wir waren sechzehn oder siebzehn, als wir das Referat gehalten haben. Keine kleinen Mädchen mehr. Außerdem sind wir, ehrlich gesagt, eher gegen unseren Willen zu diesem Thema verdonnert worden. Es war das letzte, was übrig war. Düsseldorfer Rechtsgeschichte. Klang furchtbar trocken. Wollte keiner machen. Nachher haben uns dann alle beneidet, als wir von Galgenprivileg, Blutgerichtsstein und Hexenverbrennung erzählt haben.«
»Ich wusste doch, dass da etwas sehr Dunkles in dir schlummert.« Manfred rückte näher an Katrin heran. »Und was hast du nun morgen mit meinem Auto vor?«
Katrin deutete zum Fenster. »Siehst du das?«
Manfred drehte den Kopf. »Ich sehe, ehrlich gesagt, überhaupt nichts.«
»Genau das meine ich«, erläuterte Katrin. »Wenn es morgen früh noch so nebelig ist, gibt das ein paar wunderbare Motive. Ich will ein bisschen rumfahren und Fotos machen. Mit etwas Glück gibt es einen tollen Wintersonnenaufgang. Blutrote Sonne im grauen Dunst. Sieht wunderschön aus.«
»Blutrote Sonne. Klingt gefährlich. Gestern Abend, als das Ehepaar umgebracht wurde, war auch solcher Nebel. Eine ideale Nacht für einen Mord.«
Katrin grinste. »Dann sollte ich morgen als Allererstes überprüfen, ob Halverstett den wahren Täter eingesperrt hat.«
»Und wie?«
»Ganz einfach, ich fahre alle alten Richtplätze ab. Ich glaube, die meisten kriege ich noch zusammen.«
»Alle Richtplätze? Gibt es noch mehr?«
»Klar, jede Menge. Der Galgen ist in Düsseldorf im Laufe der Jahrhunderte umhergewandert wie ein Betrunkener, der den Heimweg nicht findet. Weil die Stadt immer weiter wuchs und der Richtplatz möglichst außerhalb des besiedelten Gebiets liegen sollte. Dieses Ding wollte schließlich niemand vor seiner Haustür stehen haben.«
»Ach nee, warum denn nicht? Ich dachte, im Mittelalter wären Hinrichtungen so ’ne Art Fußballweltmeisterschaft gewesen. Sind nicht alle dahin geeilt, um sich das anzusehen? Wenn man da in der Nähe des Galgens gewohnt hätte, hätte man doch seinen Fensterplatz in der ersten Reihe vermutlich noch teuer vermieten können.«
Katrin grinste. »Da hast du recht. Später bei der Guillotine war das tatsächlich so. Die stand in der Altstadt im Gefängnishof und war von den Dächern der gegenüberliegenden Straßenseite aus gut sichtbar. Den berühmten Serienmörder Peter Kürten hat man übrigens aus diesem Grund im Kölner Klingelpütz hingerichtet, wo der Richtplatz nicht einsehbar war. Man wollte einen Massenauflauf vermeiden.«
»Der Vampir von Düsseldorf wurde in Köln hingerichtet? Na so was.«
»Eigentlich war das sogar sehr sinnvoll«, erklärte Katrin. »Kürten war nämlich gebürtiger Kölner.«
Manfred runzelte die Stirn. »Du bist ein wandelndes Henkerslexikon. Ich bin schwer beeindruckt. Allerdings weiß ich jetzt immer noch nicht, warum niemand in der Nähe des Galgens leben wollte. Wenn ich bedenke, was du gerade erzählt hast, ergibt das doch keinen Sinn.«
»Du musst dir mal vorstellen, wie das im Mittelalter war: Wer zum Tod durch den Strang verurteilt war, der wurde an den Galgen gehängt, und das war’s. Da blieb er dann hängen, bis er vollkommen weggefault war. Selbst Verbrecher, die auf andere Art hingerichtet worden waren, wurden manchmal danach noch an den Galgen gehängt. Ihr Tod sollte schließlich andere Menschen abschrecken. Da hingen oft zehn oder zwanzig Leute gleichzeitig in unterschiedlichen Stadien der
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