Katrin Sandmann 04 - Blutsonne
stöhnte innerlich. Erst die Panikattacke in der Kneipe und jetzt das. Was sollte Marc nur von ihr denken? Eigentlich konnte es ihr egal sein, was er dachte, doch das war es nicht. Sie wollte als Fotografin von ihm ernst genommen werden, und das würde schwierig werden, wenn er der Meinung war, sie hätte Sorgen, die sie von der Arbeit ablenkten. Entschlossen sah sie ihn an. »Ich habe keine privaten Probleme. Es ist tatsächlich etwas dazwischengekommen. Etwas, das ich nicht einfach ignorieren konnte.« Sie machte eine Pause. Sein Gesichtsausdruck war schwer zu deuten. Sie räusperte sich. »Eine Leiche, um genau zu sein.«
Jetzt schien er doch überrascht zu sein. »Eine Leiche? Du hast eine Leiche gefunden?«
Katrin nickte. »Die Henkermorde. Du hast sicher davon gehört.«
Marc nickte. Sein Gesicht war plötzlich verschlossen. »Schlimme Sache«, murmelte er und sah dabei an ihr vorbei aus dem Fenster, wo der Nebel sich an die Scheibe presste.
»Der Polizist«, erklärte Katrin. »Der Mann, der am Schillerplatz aufgeknüpft wurde. Ich habe ihn gefunden. Und weiß du, was das Verrückte ist? Ich bin ganz bewusst dorthin gefahren. Weil es früher ein Richtplatz war. Die Stelle am Rhein, wo die beiden anderen ermordet wurden, war nämlich auch mal ein Richtplatz. Ich hatte natürlich nicht erwartet, eine Leiche zu finden. Ich dachte, der Platz sei vielleicht ein schönes Motiv für das Buch. Wegen seiner Geschichte.«
»Das waren mal Richtplätze? Du meinst, da stand ein Galgen und so?« Marc sah sie kurz an, dann glitt sein Blick zurück zum Fenster. Eine steile Falte furchte seine hohe Stirn. »Das ist wirklich irre«, murmelte er, »du hast aber keine Fotos gemacht? Von der Leiche, meine ich.«
Katrin starrte ihn entsetzt an. »Natürlich nicht!«
»War ja auch nur so ein Gedanke.« Er nahm einen Schluck Bier. Dann beschäftigte er sich wieder mit seinem Rechner. Er fixierte den Bildschirm »Und? Hast du noch andere Ideen? Andere Motive, meine ich.« Offenbar war das Thema Leichenfund damit für ihn erledigt.
»Bis auf die Richtplätze noch nichts Konkretes«, gab Katrin zu. »Aber ich werde mich in den nächsten Tagen damit beschäftigen.« Hoffentlich würde sie Zeit dazu finden! Schließlich musste sie Frau Hirschwedders verschwundenen Hund suchen. Und da war auch noch das, was der alte Mann erzählt hatte. Der Geländewagen mit dem Kölner Kennzeichen. Sie musste mit Halverstett reden. Der wartete zudem auf ihre Turnschuhe. Sie würde halt zweigleisig fahren müssen, bei der Detektivarbeit die Augen nach Motiven offen halten. Es war sowieso besser, sich einfach treiben zu lassen, statt verkrampft zu suchen. Schöne Motive kamen zu einem, sie ließen sich nicht jagen.
Marc schien zufrieden. »Okay. Du wirst schon was finden. Wir haben ja genug Zeit. Außerdem ist es sowieso besser, wenn du dich dabei von den Texten inspirieren lässt, die ich geschrieben habe. Das soll ja zusammenpassen. Ich zeige dir mal, was ich mir so vorgestellt habe.«
Sie studierten zwei Stunden lang die Textentwürfe und Skizzen, die Marc gemacht hatte. Er ging erstaunlich offen auf Katrins Verbesserungsvorschläge ein. Die Arbeit mit ihm machte ihr immer mehr Spaß. Nur gelegentlich blickte sie verstohlen auf die Tür am Ende des Flurs. Doch Benedikt ließ sich nicht mehr blicken.
*
Die Straßenbeleuchtung sprühte müde blassgelbe Strahlen über die Lichtstraße. Tagsüber ächzte die belebte Einkaufsstraße unter dem lärmenden Verkehr, doch jetzt schimmerten die alten, ergrauten Häuser still und milchig im Nebel. Die Straßenbahnschienen glänzten feucht, und ein Betrunkener überquerte mit unbeholfenen Schritten die Fahrbahn. Man konnte kaum dreißig Schritte weit sehen, weiter als am Sonntagabend, als jemand Elisabeth und Bertram Kassnitz brutal ermordet hatte, nicht weit genug allerdings, um zu erkennen, dass an der Ecke zur Engerstraße ein Geländewagen mit Kölner Kennzeichen parkte.
Ein pinkfarbener Panda hielt vor dem Haus Nummer zweiunddreißig. Carina Lennard stieg aus. Sie trug eine hautenge Jeans, Stiefel und eine rote Lederjacke. Als ihre Freundin Silke Scheidt ihr etwas zurief, lachte sie und schüttelte den Kopf, sodass ihre langen blonden Haare durcheinanderwirbelten . Sie beugte sich in den Wagen und nahm ihre Sporttasche vom Rücksitz. Nachdem sie sich von Silke verabschiedet hatte, knallte sie energisch die Wagentür zu.
Silke wartete, bis Carina die Haustür erreicht hatte. Ein Taxi
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