Katzendaemmerung
überstiegen, doch würde sie sich tatsächlich auf Dauer gegen ein ganzes Land zur Wehr setzen können? Ich hoffte, nicht.
Ohne weiter darüber nachzudenken, tippte ich die Nummer der Dienststelle. Während sich das Signal tickend seinen Weg durch den Kabeldschungel suchte, fiel mein Blick kurz auf die Uhr. Es war fünfzehn Minuten nach sechs. Unmöglich , war mein erster Gedanke. Ich konnte einfach nicht glauben, dass erst weniger als eine Stunde vergangen war, seitdem ich mit meiner Suche nach Rosalie begonnen hatte. Ich fühlte mich so erschöpft, als wenn ich schon einen halben Tag lang in der Wohnung herumgeirrt wäre.
»Riverside-Police-Department, Deputy Blanchette«, unterbrach mich plötzlich eine sonore Frauenstimme.
»Äh … ja … hallo«, entgegnete ich unbeholfen. »Ist Sheriff Friedlander zu sprechen?«
»Bedaure, aber der Dienst des Sheriffs beginnt erst gegen halb acht. Kann ich ihnen vielleicht weiterhelfen, Sir?«
»Oh, äh … nein, nein, vielen Dank. Ich werde es dann später noch einmal versuchen.« Noch ehe mir die diensteifrige Polizistin weitere Fragen stellen konnte, hatte ich den Hörer schon fest auf die Gabel geknallt. Ich musste Friedlander unbedingt persönlich sprechen. Jede andere Person, die mit in die Sache verwickelt wurde, setzte sich einer unbekannten Gefahr aus. Da ich nicht noch weitere unschuldige Opfer auf mein Gewissen laden wollte, galt es, den Kreis der Mitwisser möglichst klein zu halten. Vorerst jedenfalls.
Die Zeiger meiner Uhr waren auf sechs Uhr zwanzig vorgerückt. Plötzlich lief mir die Zeit davon. Noch über eine Stunde würde es dauern, bis der Sheriff in seinem Büro eintraf. Nervös zerzauste ich mir das Haar. Noch siebzig Minuten , dachte ich. Alles – wirklich alles – konnte bis dahin geschehen. So lange konnte und wollte ich einfach nicht warten.
Mit einer hastigen Geste fischte ich die Visitenkarte erneut vom Tisch und tippte die zweite dort aufgeführte Rufnummer. Es klingelte achtmal, bis schließlich abgehoben wurde.
»Wenn du es bist, Cora, dann solltest du einen verdammt guten Grund dafür haben«, meldete sich Friedlanders gereizte Stimme. Seine direkte Attacke kam so unvorbereitet, dass ich nicht wusste, was ich sagen sollte.
»Was ist los, Cora? Hat’s dir die Sprache verschlagen?« Mein Schweigen schien ihn leicht zu beunruhigen. »Na, was ist? Spuck’s endlich aus; auf dem Fußboden unter mir bildet sich bereits ein kleiner See.« Als ich noch immer nicht reagierte, änderte sich schlagartig auch die Stimme des Sheriffs. Mit einem Mal sprach er langsamer. Und tiefer. »Hallo? Wer ist dort? Hallo? Melden Sie sich, verdammt noch mal!«
Erst jetzt erinnerte ich mich wieder an den Gebrauch meiner Zunge.
»Hallo … entschuldigen Sie vielmals, dass ich Sie so früh anrufe, aber es ist sehr wichtig. Es … es geht um Leben und Tod.«
»Tatsächlich?«, knurrte Friedlander. »Ich hoffe für Sie, dass Sie recht haben. Denn wenn nicht, werde ich Sie wegen mutwilliger Ruhestörung verhaften lassen … Mit wem spreche ich überhaupt?«
»Trait, Thomas Trait. Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an mich erinnern, aber vor einiger Zeit haben Sie mich wegen des Verschwindens einer Frau namens Joy McMillian befragt.«
»Hhmmm ja, diese Lektorin aus L.A. … Was ist damit?«
Mutig geworden, versuchte ich seine Neugier zu schüren. »Ich nehme nicht an, dass Miss McMillian wieder aufgetaucht ist, habe ich recht?!«
Am anderen Ende der Leitung blieb es still. Nach etwa zehn Sekunden sagte der Sheriff: »Ich kenne Sie. Sie sind doch dieser Fotograf mit den vielen Katzenfiguren … mit diesen grauenvollen Teufeln überall an den Wänden …«
»Genau der! Liege ich mit meiner Vermutung bezüglich Joy McMillian richtig?«
»Die Akte wurde noch nicht geschlossen. Was wissen Sie über den Fall?«
Ich musste die Wahrheit möglichst unverfänglich preisgeben; schließlich konnte ich Friedlander kaum erzählen, dass ich selbst das Grab für die Gesuchte ausgehoben hatte.
»Ich glaube … nein, ich bin der festen Überzeugung, dass Joy Mymillian ermordet wurde«, erklärte ich.
»Und wie kommen Sie zu dieser Überzeugung?«, wollte Friedlander wissen. Er betonte das letzte Wort mit unverhohlener Ironie. »Wer ist denn ihrer Meinung nach für diesen ›Mord‹ verantwortlich?«
»Meine Freundin Mia«, presste ich mühsam hervor. »Sie …«
»Waaas?«, unterbrach mich der Sheriff. »Meinen Sie etwa damit die hübsche Blondine, die ich damals bei
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