Kay Susan
er etwas Schwieriges zu sagen hatte und nicht der Mann war, dem eine Entschuldigung glatt von den Lippen geht.
»Ich muß gestehen, daß ich einen ziemlich schlauen Fälscher erwartete, als ich heute herkam«, sagte er verlegen. »Als ich in Paris diese Zeichnungen erhielt, war mein erster Gedanke, daß jemand meinem Freund Mansart einen Streich gespielt und sein Vertrauen mißbraucht hatte. Ich fürchte, daß ich Sie, Madame, verdächtigt habe, einen freundlichen und höchst leichtgläubigen Menschen für Ihre eigenen Zwecke mißbraucht zu haben.«
Ich starrte ihn wortlos an, und er breitete mit einer Geste der Entschuldigung seine dicken Hände aus.
»Was soll ich Ihnen sagen, Madame? Sie werden nur zu gut wissen, daß die Frühreife Ihres Sohnes an ein Wunder grenzt.«
Erleichtert reichte ich ihm die Hand.
»Sie geben also zu, daß er genial ist?«
Er schüttelte den Kopf. »Genie ist eine menschliche Eigenschaft. Was ich heute gesehen habe, läßt sich nicht mit irgendeinem mir bekannten Wort definieren. Eriks Fertigkeiten sind ganz unglaublich. Madame, es würde mir außerordentlich schwerfallen, auf die Formung einer so exorbitanten Begabung zu verzichten.«
Ich schloß kurz die Augen und hatte das Gefühl, ein großes Gewicht werde mir von den Schultern genommen. Der Professor verstummte für einen Augenblick und befingerte die Jacke, die er sich über einen Arm gehängt hatte.
»Wie ich Vater Mansarts Brief entnehme, verhindert seine schwerwiegende körperliche Mißbildung, daß er irgendeine unserer ausgezeichneten Lehranstalten besucht.«
»Das ist richtig«, sagte ich schwach und war mir bewußt, wie meine Hoffnung wieder sank.
»Verzeihen Sie, Madame, aber wäre es . . . unangebracht, wenn ich frage . . . ?«
»Die Maske?« Ich biß mir auf die Lippen. »Sie wollen den Grund für die Maske wissen.«
»Ich muß gestehen, daß ich sie etwas exzentrisch, ja unpassend finde. In unserem aufgeklärten Zeitalter rechnet man kaum damit, daß ein Kind auf diese Weise – wie soll ich sagen? – gebrandmarkt wird. Kein Mißgeschick der Geburt, wie schwerwiegend auch immer, vermag eine so primitive Maßnahme zu rechtfertigen.«
Bei dieser ignoranten Kritik fuhr mein Kopf hoch.
»Möchten Sie ihn ohne Maske sehen?« fragte ich kalt. »Sind Sie bereit, keinen Widerwillen zu zeigen . . . keine Abscheu, die ihn bekümmern würde?«
Er lächelte schwach. »Ich denke, Sie werden feststellen, daß ich ein Mann von Welt bin«, behauptete er mit verächtlicher Selbstgewißheit.
»Und Sie werden nicht zulassen, daß das, was Sie sehen, Ihr vorheriges Urteil beeinträchtigt?«
Jetzt war er gar beleidigt.
»Madame, wir leben nicht mehr im sechzehnten Jahrhundert! Wir leben in einer Zeit empirischer und rationaler Urteile!«
»Das glauben Sie!« sagte ich.
Mit einem Achselzucken ging ich zur Tür, rief Erik herein und nahm ihm die Maske ab.
Ich muß zugeben, daß Professor Guizot sein Wort hielt. Er verlor zwar seine portweinrote Gesichtsfarbe, doch kein Flattern seiner Lider und kein Zucken seiner weißen Lippen verriet, was er empfinden mußte, als er das Totengesicht des Kindes erblickte.
Als wir wieder allein waren, wies ich auf einen Sessel beim Feuer.
»Nehmen Sie Platz, wenn Sie möchten, Monsieur.«
»Danke.« Er sank in den Sessel am Kamin und ordnete mit einer Flüchtigen Geste nervöser Erschütterung die Jacke auf seinen Knien. »Dürfte ich Sie vielleicht um ein Glas Wasser bitten?« fragte er heiser.
Ich brachte ihm statt dessen einen Cognac. Er nahm ihn wortlos an, goß die braune Flüssigkeit rasch hinunter und stellte mit zitternder Hand das Glas auf dem kleinen runden Tisch neben sich ab.
»Ich denke, Sie stimmen jetzt der Notwendigkeit einer Maske zu«, sagte ich ruhig.
»Ja«, antwortete er aus tiefstem Herzen. »Ja, ich fürchte, es geht nicht ohne sie.«
»Und?« drängte ich unerbittlich.
Er schaute ostentativ auf sein leeres Cognacglas, aber ich bot ihm nichts mehr an. Schreckliche Angst und Wut sammelten sich in mir.
»Ich hatte die Absicht, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, den Jungen in meinen eigenen Haushalt aufzunehmen, wo ich ihn in meiner freien Zeit hätte unterrichten und dafür sorgen können, daß er sein Baccalauréat ablegt. Aber jetzt sehe ich, daß ein solches Arrangement unmöglich wäre. Meine Frau, verstehen Sie, ist von nervöser Gemütsart, und wir haben neugierige Nachbarn . . . Nein, ich fürchte, das ist ganz undenkbar. Ich muß Rücksicht nehmen auf meine gesellschaftliche
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