Kay Susan
Stellung.«
Ich ballte die Fäuste. »Sie wollen ihn also nicht unterrichten.«
»Madame . . . « protestierte er hilflos.
»Ich wußte es! Ich wußte, daß Sie es ablehnen würden, wenn Sie ihn gesehen hätten!«
»Madame, ich flehe Sie an, seien Sie vernünftig. Dieses Kind . . . «
». . . ist ein monströses Ungeheuer!«
»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte er würdevoll, »und ich muß Sie bitten, mir nicht solche Worte in den Mund zu legen. Ich habe nach wie vor die Absicht, ihn zu unterrichten, das versichere ich Ihnen, aber es kann nicht in Paris geschehen, wo ich allzusehr im Licht der Öffentlichkeit stehe.«
»Wie dann?« flüsterte ich.
Er stand aus seinem Sessel auf und legte mir mit einer väterlichen Geste eine Hand auf den Arm.
»Ich denke nicht, daß er dieselbe ständige Anleitung braucht wie die meisten Studenten. Es wird darum gehen, ihm interessante Aufgaben zu stellen und Anregungen zu geben. Dieser Fall ist eine Herausforderung, Madame, eine Prüfung meines beruflichen Einfallsreichtums. Sie dürfen versichert sein, daß ich für ein Studium sorgen werde, welches den ziemlich einzigartigen Umständen, in denen wir uns befinden, vollkommen gerecht wird.«
Ich spürte Tränen der Dankbarkeit in meinen Augen aufsteigen und drehte mich hastig um.
»Sie sind sehr freundlich«, murmelte ich.
»Meine liebe Dame«, seufzte er, »ich bin nicht freundlich . . . ich bin fasziniert.«
Es war gut, daß Charles’ Tod mich wohlhabend zurückgelassen hatte; andernfalls hätten die Kosten für Eriks einzigartige Erziehung uns ruiniert. Ich war gezwungen, das Haus meines Vaters in Rouen zu verpachten, um ihm die Mittel zum Studium zu verschaffen, aber ich grollte ihm deswegen nicht. Es war das einzige Glück, das ich ihm bereiten konnte. Vater Mansart stattete zwei Räume im Haus mit Bücherregalen aus, und Monat um Monat kamen Unmengen von schweren Bänden aus Paris – einige davon waren seltene Ausgaben –, begleitet von Kommentaren und Anweisungen des Professors. In regelmäßigen Abständen kam er selbst, um einen ganzen Tag eingeschlossen mit seinem lernbegierigen Schüler zu verbringen.
»Eines Tages«, vertraute er mir mit kaum verhohlener Erregung an, »wird dieser Junge die Welt in Erstaunen setzen.«
Als Guizot vom Grand Prix de Rome und seiner Entschlossenheit sprach, Erik solle der jüngste Bewerber um diesen begehrten Preis sein, äußerte ich mich nicht dazu. Ich widersprach auch dem Jungen nicht, wenn er darüber redete, er werde als Stipendiat der Villa Medici in Rom studieren. Weder ich noch der Professor waren bereit zuzugeben, daß Luftschlösser das einzige waren, was Erik jemals bauen würde. Wie zwei Strauße vergruben wir die Köpfe im Sand und weigerten uns, die häßliche Wirklichkeit zu sehen.
Ich wagte nicht an das Leben zu denken, das Erik jenseits des Schutzes meiner Haustür erwartete, in einer Welt, die nichts anderes zu tun haben würde, als über seine groteske Erscheinung zu spotten. Ich wagte nicht, mir diese Zukunft vorzustellen.
Doch ich konnte ihm seine Träume nicht verweigern. Denn ich wußte, daß Träume alles waren, was er jemals haben würde.
7. Kapitel
Einige Monate nach Beginn seines Architekturstudiums hei Professor Guizot bat Erik mich um einen Spiegel.
Das überraschte mich so, daß ich nicht wußte, was ich ihm antworten sollte. Mein erster Impuls war Ablehnung, aber da meine instinktiven Reaktionen in bezug auf Erik gewöhnlich falsch waren, beschloß ich, seiner gefährlichen Bitte zu entsprechen. Ich holte einen kleinen Handspiegel aus der Schublade in meinem Schlafzimmer, in der ich ihn sorgfältig versteckt hielt, und händigte ihn Erik widerwillig aus. Er sprach nie über »das Gesicht«, aber da ich weiterhin regelmäßig von den nächtlichen Entsetzensschreien aus seinem Zimmer erwachte, nahm ich an, daß die Erinnerung ihn noch immer verstörte.
Mit übertriebener Vorsicht nahm er den Spiegel in Empfang, als sei er eine giftige Schlange, die vielleicht beißen würde, und legte ihn mit der spiegelnden Seite nach unten auf den Tisch. Er keuchte ein wenig, als sei er schnell gelaufen. Ich spürte seine Angst so stark, daß ich versucht war, ihm den Spiegel wieder zu entreißen. Aber ich widerstand dem Drang und wartete.
»Wenn ich nur die Rückseite anschaue«, begann er zögernd, »würde ich dann immer noch . . . Dinge sehen?«
»Nein«, sagte ich ruhig, »die Rückseite eines Spiegels gibt kein Bild wieder. Du würdest überhaupt nichts
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