Kay Susan
nicht besessen gewesen wäre, so benahm er sich hinterher jedenfalls so, als wäre er es.
Sein Vertrauen in Vater Mansart war endgültig verschwunden. Er weigerte sich, die Stimmausbildung fortzusetzen, die sie beide so entzückt hatte. Aber, was schlimmer war, er weigerte sich auch, die Messe zu hören oder ein Kruzifix in seinem Zimmer zu dulden. Ich wagte nicht, darauf zu bestehen, denn er hatte angefangen, sich so seltsam zu benehmen, daß ich allmählich wirklich Angst vor ihm empfand. Wenn er in der Nähe war, begannen im Haus eigenartige Dinge zu geschehen. Gegenstände gingen fast unter meinen Augen verloren, und sobald ich aufgehört hatte, nach ihnen zu suchen, tauchten sie wieder auf. Ich wußte, daß er dafür verantwortlich war, aber wenn ich ihn darauf ansprach, zuckte er nur die Achseln und lachte und sagte, wir müßten einen Geist im Haus haben.
Als eines Tages eine Tasse von ihrer Untertasse sprang und am Kamingitter zerschellte, entdeckte ich einen dünnen Faden, der um den zerbrochenen Henkel gebunden war, und wandte mich zornig an Erik. »Das warst du, nicht wahr? Du hast das getan!«
»Nein!« Ängstlich wich er vor mir zurück. »Wie hätte ich das tun können . . . ich war ja nicht einmal in der Nähe. Es war der Geist!«
»Es gibt hier keinen Geist!« schrie ich. »Es gibt keinen Geist – nur dich mit deinen höllischen Bindfäden. Aber diesmal warst du nicht schlau genug. Diesen Trick durchschaue sogar ich!«
Er schwieg, starrte auf den Faden und sah aus, als ärgere er sich über sein eigenes Versagen. Ich konnte beinahe seine wütende Entschlossenheit hören, sich beim nächsten Mal nicht zu verraten.
»Es wird kein nächstes Mal geben«, sagte ich ruhig und sah, wie er ruckartig den Kopf hob, weil ich so mühelos seine Gedanken gelesen hatte. »Diese Bosheiten haben jetzt ein Ende, hast du mich verstanden?«
»Das bin nicht ich«, wiederholte er mit kindlichem Trotz. »Es ist der Geist. Der Geist, den Vater Mansart zu vertreiben versucht hat.«
Ich rüttelte wild an seinen Schultern, bis die Maske sich löste und zwischen uns zu Boden fiel.
»Hör auf mit diesem Wahnsinn!« kreischte ich. »Hör sofort auf damit! Sonst werde ich tun, was Doktor Baryé rät, und dich wegschicken, in eine schreckliche Anstalt für Verrückte. Ja! Das macht dir angst, nicht wahr? Nun, mich freut es. Ich freue mich, daß es dir angst macht, weil es dafür sorgen wird, daß du mit diesem verrückten Benehmen aufhörst. Ich verspreche dir, Erik, wenn ich dich in eine Anstalt schicke, wirst du nie mehr zurückkommen . . . nie mehr! Sie werden dir die Hände hinter dem Rücken fesseln und dich in einen dunklen Raum sperren, bis du stirbst, und du wirst mich nie, nie wiedersehen! Willst du also jetzt aufhören? Ja?«
Abrupt ließ ich ihn los und wich zurück, nach Luft ringend, während er auf dem Teppich zu meinen Füßen kniete und mit zitternden Händen die Maske wieder anlegte. Ich konnte sein Entsetzen spüren, aber diesmal empfand ich keine Reue wegen meiner Härte. Wir beide näherten uns einem gefährlichen Abgrund, und ich wußte, wenn ich ihn jetzt nicht in meine Gewalt bekam, würden wir beide in einer Anstalt enden.
»Was würdest du tun«, flüsterte er leise, ohne mich anzusehen, »wenn ich nicht mehr hier wäre?«
»Ich würde Dr. Baryé heiraten«, sagte ich, von schierer Verzweiflung zur Lüge getrieben. »Er hat mich schon gefragt, und du bist das einzige, was verhindert, daß diese Hochzeit stattfindet. Du siehst also, du solltest besser vorsichtig sein und tun, was ich sage. Sieh mich an! Sieh mich an und versprich mir, daß es keine solchen Vorfälle mehr geben wird.«
Er kniete weiter auf dem Boden und wickelte den Bindfaden so fest um einen seiner mageren Finger, daß die Fingerspitze blau wurde. Dann sprang er flink wie ein Grashüpfer auf und rannte zur Tür, wo er stehenblieb und mich herausfordernd ansah.
»Es gibt einen Geist«, sagte er drohend. »Es gibt hier einen Geist, Mutter. Und er wird bei dir bleiben, für alle Zeit!«
Ich stand da und sah ihm nach, eine Hand an der Kehle, die andere in einer hoffnungslos flehenden Geste nach ihm ausgestreckt.
Mir war plötzlich sehr kalt.
11. Kapitel
Ich ging nicht mehr zur Messe und weigerte mich, Vater Mansart zu empfangen, wenn er ins Haus kam. Als Etienne eine Bemerkung über meine Blässe und Zerstreutheit machte, gerieten wir in einen heftigen Streit.
Eines nach dem anderen schloß ich die Fenster, die auf die Welt jenseits
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