Kaylin und das Reich des Schattens
geheilt hast, nicht zurückverfolgen, darum. Deine Magie ist verborgen und verschlossen – sogar vor dir selbst. Vielleicht besonders vor dir selbst. Und deine Feinde – nein, Kaylin,
unsere
Feinde – können tun, wovon die Armschiene dich abhält. Sie haben es schon getan, sonst hätten sie Catti nicht geholt, denn sie wären nicht in der Lage gewesen, sie zu finden. Du hast zwei Möglichkeiten. Wahrscheinlich. Du kannst die Fäden eurer Bindung in dir selbst finden und sie zertrennen.”
“Und was würde das bringen?”
“Zwei Dinge. Zunächst – und vielleicht am wichtigsten für Elantra – würde es die Tür schließen. Es würde ihr Opfer nur so wichtig machen, wie die anderen gewesen sind, nicht mehr. Sie würden ihren Weg in das Herz deiner Gabe verlieren. Zweitens, ich glaube, es würde sie umbringen, aber wenigstens wäre es ein schmerzloser Tod.”
“Nein.”
Er zeigte kein Erstaunen über ihre Antwort. Er hatte sie erwartet, sie kannte ihn jetzt gut genug, um das zu wissen. “Oder du kannst die Bindungen finden und sie stärken.”
“Ich werde –”
“Und
falls
wir das Kind doch nicht rechtzeitig finden, wirst du alles Menschliche an dir aufgeben, und der Tod des Kindes – aller Kinder – wird blass und gnadenvoll erscheinen im Vergleich zu dem, was du
dann
zu tun in der Lage sein wirst.
Ja, ich habe Lord Grammayre geraten, dich umzubringen. Das werde ich nicht leugnen. Er hat sich entschlossen, meinen Rat nicht zu befolgen – obwohl es die Lords der Gesetze einiges gekostet hat – und zwar nicht, weil er sich sicher war, dass er dich beschützen konnte, und letztendlich auch nicht, weil er mit Sicherheit sagen konnte, dass von dir keine Gefahr mehr ausgeht. Er hat sich geweigert, weil er dich damals noch für ein Junges gehalten hat, das mit gebrochenen Flügeln zu ihm in den Turm gekommen ist, und es ihm irgendwie gelingen konnte, dich zu heilen.”
“Aber das ist nicht – das kann nicht –” Sie bebte. “Weißt du, warum ich damals in den Turm des Falkenlords gekommen bin? Was ich versucht habe?”
Falls er es tat, war er gnädig genug, nicht zu antworten. Und er war Tiamaris genug, die Unterbrechung zu ignorieren. “Damals hielt ich ihn für leichtsinnig. Aber die Gabe, die du genutzt hast, um das Kind zu heilen – sie ist einzigartig. Vergleichbares findet sich nur in Legenden und in Geschichte, die alt genug ist, um für die sterblichen Rassen zu Legenden geworden zu sein. Sogar jetzt noch kommt mir seine Tat leichtsinnig vor – aber ich kann sie besser verstehen, und was er nicht getan hat, werde auch ich nicht tun, solange ich mir nicht sicher bin, dass es keine andere Wahl gibt.”
“Und was, wenn es dann zu spät ist?”
“Dann werde ich sterben.” Er legte seine Hände an ihre Wangen; sie waren hart und warm. Er hätte ihren Kopf zwischen ihnen zerquetschen können. “Und jetzt werde auch ich das größere Risiko eingehen, Kaylin Neya. Denk an deine Catti. Finde die Brücke, die du gebaut – und überquert – hast, um ihr das Leben zu retten. Finde nur sie.”
“Und dann?”
“Werden wir sie erneut überschreiten.” Er hielt inne. Sein Zögern war spürbar. “Ich muss Severn rufen”, sagte er schließlich.
“Nein!”
“Ich werde Severn rufen, Kaylin, weil das Kind fast mit Sicherheit in den Kolonien ist und eure gemeinsame Geschichte ebenfalls dort liegt.”
“Unsere
Geschichte
–”
“Er hat seine Rolle zu spielen”, sagte der Drache leise. “Sie ist noch nicht zu Ende. Er kennt dich besser als irgendjemand sonst, außer vielleicht Lord Grammayre. Er weiß, was dich zu dem gemacht hat, was du bist. Er versteht dich.”
Darauf wollte sie nicht antworten. Oder sich selbst darüber klar werden.
“Aber sie haben Catti aus der oberen Stadt geholt – sie könnte ü
berall
sein!”
“Und die Armschiene”, fuhr Tiamaris ohne Pause fort, “ist zu Severn gekommen – er ist ihr Hüter. Ich glaube, wenn wir sie in den Findelhallen lassen, kehrt sie zu ihm zurück, und dann weiß er es.”
Sie schluckte.
“Unsere Feinde sind in den Kolonien”, sagte er zu ihr, “weil dort die Quelle ihrer Macht liegt. Alle alte Magie von Elantra liegt dort, fast vergessen und schlafend. Du fängst an, Severn zu verstehen, und ich würde dich deswegen bedauern, aber dazu bleibt keine Zeit.
Wähle – Severn oder Catti.”
Sie schluckte. “Wenn er versucht, ihr wehzutun –”
“Bringe ich ihn eigenhändig um.”
Die Worte hätten tröstlich wirken
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