Kaylin und das Reich des Schattens
keine Sanitäter, aber wenn du meinst, du kannst sie festhalten, sind hier eine
Menge
Aerianer”, entgegnete Severn.
Sie biss sich auf die Lippe, nickte und ließ ihre Macht ziehen. Im Gegensatz zu Cattis Heilung war ihr dies wenigstens vertraut. Wenn die Hebammen sie riefen, war es oft, weil sie glaubten, die Mutter – und das Kind – wegen zu starker Blutungen zu verlieren. Sie hatten nicht immer recht, aber doch oft genug.
Das war schwerer. Blut von einer schlechten Geburt kam aus einer zerrissenen Wunde, aus mehreren Lagen aufgerissenem Fleisch. Es war nicht so sauber. Aber die Vorgehensweise war die gleiche.
Zuerst die Blutung stillen.
Zweitens, das Herz etwas stärker zum Schlagen bringen, um das Blut zu ersetzen. Etwas hier und da verändert, dort einen kleinen Stoß.
Sie versuchte, die Schreie in der Ferne nicht zu hören, weil sie so weit entfernt waren. Der Koloniallord war in den Straßen. Der Falkenlord über ihnen. Die beiden konnten sich ein
bisschen
länger allein um alles kümmern.
Sie beendete den ersten Schritt. Es war nicht schwer, denn die Zeit hätte eine ebenso gute Arbeit geleistet wie sie es jetzt tat – zwar unordentlich, aber es funktionierte alles. Sie hatte nur selber nicht die Zeit, noch mehr zu tun.
Doch ehe sie mit der wirklichen Arbeit fertig war, bewegte sich das Gesicht der Frau. Ihre Stirn stieß so schnell nach vorne, dass sie Kaylins Kiefer einen Schlag verpasste. Kaylin fasste die Frau an den Händen, als sie versuchte, sich aufzurichten.
“Meine Tochter”, sagte die Frau. Ihre Stimme war nicht stark, aber sie war ruhig und eindringlich. Die Wörter taten unglaublich weh.
Severn kniete sich neben sie. “Wir sind hier”, sagte er zu der Frau, in einer viel festeren Stimme, als sie Kaylin gelungen wäre, “um dein Kind zu retten.”
Die Frau hatte eindeutig ihr ganzes Leben in den Kolonien verbracht, auf ihrem Gesicht lieferten sich Misstrauen und Verzweiflung die reinste Schlacht, doch am Ende gewann Verzweiflung. Es war knapp.
“Wir sind Falken”, fuhr Severn fort und sah ihr in die wild funkelnden Augen. “Sieh nur.” Und er deutete in den Himmel. Auf die Aerianer, die Kaylin ihr ganzes erwachsenes Leben lang beneidet hatte.
Der Blick der Frau streifte sie flüchtig, streifte den Himmel, nicht mehr. Aber sie hob ihre Hand, die zitterte, und berührte das Emblem auf Severns Übermantel.
Endlich kam auch Tiamaris und beugte sich zu ihr hinab, kniete sich allerdings nicht hin. “Sag uns”, sagte er, “wohin sie deine Tochter gebracht haben.”
Die Frau hob eine Hand und wies ihnen den Weg.
Tiamaris zog Kaylin an einem Arm auf die Beine. “Kannst du laufen?”
Sie nickte.
“Kannst du rennen?”
Sie nickte wieder. Ihre Hände klebten, und sie wischte sie ohne es zu merken an den Beinen ihrer geliehenen Hose ab.
“Es ist das dritte Gebäude”, sagte Severn ruhig. Er ließ die Kette aus einer Hand fallen und veränderte seinen Griff um sie. “Dort wird gekämpft”, fügte er hinzu.
“Das sehe ich.” Es war nicht so schlimm wie auf der Mayburn. Zwei Dutzend Barrani beider Gesinnungen standen auf dem betreffenden Abschnitt der Culvert Road verstreut. Die meisten schwangen Schwerter, einige waren in Feuer gekleidet.
Etwas zog an ihr – von innen. “Nightshade ist dort”, sagte sie mit ruhiger Bestimmtheit.
Tiamaris, der jetzt wieder ganz wie der grimmige Drachenlord aussah, egal, ob ein Falke auf seiner Brust prangte oder nicht, nickte.
“Tiamaris?”
“Er ist dort.”
“Was ist los?”
“Nichts.”
Kaylin verließ den Brunnen. Sie kniff ihre Augen zusammen. Zwar konnte sie nicht so viel sehen, wie ein Drache es offensichtlich konnte, denn sie musste sich anstrengen, um den Koloniallord zu entdecken. Aber als sie es tat, fragte sie sich, warum das so lange gedauert hatte. Er trug eine Rüstung, er trug Schienbeinschoner, er trug Schienen an den Oberarmen, und sein Haar war sein einziger Umhang.
Außerdem trug er ein langes Schwert. Die Barrani unter den Falken hatten nie Klingen bevorzugt, und so wie sie ihre Stäbe benutzten, fragte Kaylin sich auch nicht, warum. Sie fragte es sich jetzt, aber nur kurz – denn
sein
Schwert schien die toten Barrani erstarren zu lassen.
“Er wird einen Weg durch sie hindurchhacken”, sagte sie mit halb offenem Mund.
“Mit diesem Schwert.” Tiamaris sprach mit leiser und tiefer Stimme. Nur seine Kehle, die zu klein für ihre ganze Bandbreite war, schränkte sie ein. “Ja, er wird sich seinen
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