Kaylin und das Reich des Schattens
Kleingeld hineingeschlichen, um zu sehen, welche Wetten angeboten wurden, und auf wen. Oh, das hatte die Bevölkerung eine ganze Woche lang amüsiert.
Was es nicht gab, waren Bordelle, wie sie die wohlhabenderen Gegenden der Kolonien säumten. Hier, im Windschatten der Hallen, gab es keine Mädchen in den Fenstern, die Betrunkene und reiche junge Männer, die zu nichts gut waren, zu sich lockten. Es fiel ihr schwer, sich an ihr Fehlen zu gewöhnen.
Sie hatte einige Mädchen gekannt, die in den Bordellen arbeiteten, aber nicht sehr gut. Sie waren scharfsichtig und klug, und es gelang ihnen oft genug, sich unachtsame Kunden zu angeln. Nicht, dass Kaylin je bezaubernd genug gewesen wäre, um in Gefahr zu geraten, dass sie dieses besondere Schicksal ereilte.
Aber sie hatte kein Mitleid. Nicht mit diesen Mädchen. Es gab andere, in den dunkleren Straßen, wo Fenster verboten waren, weil sie Freiheit verhießen. Auch die hatte sie gesehen. Hatte gesehen, was von ihnen übrig war.
Nicht alle Gebäude, die sich um die große, dreieckige Anlage der Hallen gesammelt hatten, waren Läden. Auch die Gilden waren hier zu Hause. Und nicht alle Mitglieder der Gilden waren den Falken gegenüber feindlich gesinnt. Kaylin hatte oft mit den Webern zu tun, und mit den Hebammen sowieso. Aber sie hielt sich von den Kaufleuten fern, weil sie nach Geld und Macht stanken, das erkannte sie aus einer Meile Entfernung. Sie glaubte, dass viele der Männer, die eine Mitgliedschaft bei der Gilde der Kaufleute erworben hatten, in den Kolonien auch andere Dienste erwarben, aber darüber redete man nicht. Zumindest nicht oft.
Als sie zum ersten Mal hierhergekommen war, hatte sie auch nicht viel geredet.
“Kaylin?” Tiamaris berührte ihren Arm, und sie zuckte zusammen und ging in Angriffsstellung. Er hob eine Augenbraue und zerstreute damit ihre plötzliche Panik.
“Nicht anfassen”, fuhr sie ihn an.
“Du hast dich wirklich nicht viel verändert, was?”, sagte Severn mit halb geschlossenen Augen. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten, aber der Hohn in seiner Stimme war unüberhörbar.
Das weißt du wohl am besten
war keine Antwort, auf die sie stolz sein konnte, also hielt sie den Mund. Sehr knapp, wegen dieses verdammten Kerls.
“Was ist los?” Sie zwang sich dazu, ihre Stimme nicht verärgert klingen zu lassen.
“Du bist langsamer geworden.”
“Tut mir leid. Ich habe nachgedacht.”
“Bei den Wölfen ist das verboten.”
Sie konnte sich ein Lächeln einfach nicht verkneifen. Severn hatte sie immer zum Lachen gebracht. Immer, bis er es dann nicht mehr getan hatte. Er sah, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte, und schwieg.
Sie gingen weiter.
Die Straßen wurden breiter. Die Kaufleute und Bauern, die die Nestor Street hinauffuhren, waren meistens in Pferdewagen unterwegs. Nestor führte am Fluss entlang, der die Stadt in zwei Teile teilte, und überquerte ihn auf der breitesten seiner vielen Brücken. Dort hatten sich die weniger bedeutenden Gilden angesiedelt, die kleineren Kaufleute und ein oder zwei Wohltätigkeitsanstalten, die sich noch die Mühe machten. Eine davon war das Findelhaus. Auch dort war sie des Öfteren, auch wenn sie bei ihren Besuchen vorsichtiger war. Heute würdigte sie es nicht einmal eines Blickes. Weil Severn bei ihr war.
Fußgänger gingen auf beiden Seiten der Straße, und die Kaufleute waren sich nicht zu schade, daraus einen Vorteil zu schlagen. Ihr Magen knurrte, als sie an einem offenen Stand vorbeikamen, der Backwaren anbot.
Severn lachte. “Wirklich nicht verändert”, sagte er und schüttelte den Kopf.
Sie aßen etwas, während sie die Brücke über den Fluss Ablayne überquerten. Kaylin blieb stehen, um in das Wasser darunter zu sehen. Sie wollte umkehren,
Falkenlord
, dachte sie, als ob er ein Gott wäre, der sie tatsächlich erhören konnte,
ich gehe. Ich gehe zurück in die Kolonien. Gib mir nur einen anderen Partner. Irgendeinen. Sogar Marcus.
Severn blieb neben ihr stehen, und das reichte als Antwort aus. Sie wendete sich ab und warf einige Brocken ins Wasser. Etwas würde sie schon fressen, es war ihr egal, was.
Die Straßen auf der falschen Seite des Flusses würden noch einige Häuserblocks lang breit genug für Fuhrwerke sein, aber der Verkehr war hier geringer. Tagsüber schienen die Außenbezirke der Kolonien wie jeder andere Teil der Stadt. Wenn man dort blieb, war man wahrscheinlich sicher. Wachen zogen nur einen Steinwurf weit entfernt ihre
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