Kaylin und das Reich des Schattens
Gebiet der Burg, sogar genauso, wie du sie jetzt siehst, als ich sie endlich erobert hatte. Sie haben gegen mich gekämpft. Sie sind mächtig, doch sie sprechen selten.”
“Jetzt sprechen sie.”
“Ja. Das hatte ich schon erwartet. Du hast das Siegel berührt”, fügte er hinzu.
“Gehen sie jemals fort?”
“Nein. Sie sind an diesen Ort gebunden, aber der Bund ist alt und kaum noch zu verstehen. Blut weckt sie auf. Es ist ihr Ruf zum Leben.”
Das war also die Lektion. Sie bedeckte ihre Wange mit einer Hand.
“Sie trägt die Zeichen”, sagte einer der zwei. Das verwirrte Kaylin, bis sie merkte, dass sie nicht über die merkwürdige Blüte des Koloniallords sprachen, sondern über die Zeichen auf ihren Armen. “Lass sie bei uns. Misch dich nicht in die Angelegenheiten der Alten ein.”
“Sie ist sterblich”, entgegnete der Koloniallord. “Und nicht an die Gesetze der Alten gebunden.”
“Sie trägt die Zeichen”, sagte der Barrani wieder. “Sie trägt die Worte in sich.”
“Das kann sie nicht.”
Dann Stille. Schatten.
“Sie ist fast gebunden”, antwortete eine flache, kalte Stimme schließlich. “Wie wir gebunden sind. Wir gewähren Dir Durchgang, Lord der Langen Hallen.”
Kaylin trat im Schatten des Koloniallords zwischen ihnen hindurch, aber sie spürte, wie ihre Augen ein Loch zwischen ihre Schulterblätter brannten, und sie schwor sich, dass sie nie wieder durch ein Schattentor treten würde, nicht einmal, wenn ihr Leben auf dem Spiel stand. Sie hatte schon Hunger gelitten, aber nie, wie diese beiden es taten, und sie wollte nicht diejenige sein, die diesen Hunger stillte.
“Du wirst hier nicht von ihnen sprechen”, befahl er ihr.
“Ich –”
“Ich verstehe, dass du mit Lord Grammayre sprechen wirst. Ich verstehe auch, dass er die Tha’alani rufen wird, wenn deine Aussage nicht ausreicht.”
Sie schüttelte sich. “Das wird er nicht”, fuhr sie ihn an.
“Du trägst bereits den Duft ihrer Berührung. Es ist … unangenehm.”
“Nur einmal”, flüsterte sie, aber sie erblasste.
“Vertrau Lord Grammayre nicht zu sehr”, sagte er leise.
“Euer Name –”
Er lächelte. “Nicht einmal die Tha’alani können ihn berühren. Kein Sterblicher kann das, wenn er ihnen nicht geschenkt worden ist, und sie haben den Preis nicht gezahlt. Der Name, Kaylin Neya, gehört allein dir. Wenn er dich ausfragt, antworte ihm. Ich gebe dir die Erlaubnis dazu.”
“Warum?”
“Weil der Lord der Falken und der Lord von Nightshade an verschiedene Gesetze gebunden sind. Wir haben verschiedene Informationen, und ich bin neugierig darauf, zu sehen, was er jetzt in dir sieht.”
Er trat durch die Türen, die sich langsam hinter ihm schlossen. Als Kaylin sich umsah, waren an ihrer Stelle nur glatte, leere Wände. Aber an ihren Rändern, oben und unten, entdeckte sie die verschnörkelte Runenschrift, mit der sie mittlerweile vertraut war.
“Nicht einmal ich kann sie befreien”, sagte er leise. “Ich habe es nur ein einziges Mal versucht.”
Sie wollte etwas sagen, doch zu ihrer Beschämung kam ihr der eigene Magen zuvor. Er knurrte.
Seine schön geschwungenen schwarzen Brauen hoben sich überrascht, dann lachte er. Sie wollte das Geräusch hassen. “Du bist sehr menschlich”, sagte er leise. “Und ich sehe so wenige von euch.”
Das erinnerte sie an etwas. “Severn”, sagte sie.
“Ja. Vielleicht der letzte deiner Art, mit dem ich mich länger unterhalten habe.”
“Warum?”
Das Lachen war vergangen, und das Lächeln, das an seine Stelle getreten war, war wie Ebenholz, hart und glatt. “Frag ihn.”
“Er antwortet nicht.”
“Nein. Aber frag ihn trotzdem. Das wird mich amüsieren.”
Als sie die nächste Halle verließen, hörte sie Stimmen.
Eine war besonders laut. Und kam ihr sehr bekannt vor. Sie schloss die Augen, ließ den Arm des Koloniallords los, und stolperte, als sie die schimmernde Seide ihres Kleides in den Fäusten zusammenballte. Sie hob den Rock ihres eleganten Kleides, befreite ihre Füße, und zog nach einem Augenblick des Zögerns auch ihre Schuhe aus. Sie schüttelte sie mit scharfen Tritten in verschiedene Richtungen ab. Der Boden unter ihren Füßen war kalt. Kalt und hart.
Egal.
Sie erkannte sowohl die Stimme als auch den wesentlichen Inhalt, und begann zu rennen. Die taumelnde Bewegung erinnerte sie daran, wie schwach ihre Beine waren. Aber sie waren gerade stark genug. Sie gelangte ans Ende des Korridors und bog um eine scharfe
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