Kaylin und das Reich des Schattens
sah das Fell auf seinem Rücken, das Fell, das sich auf dem Weg von seiner Wirbelsäule zu seinem Hinterkopf zu einer Spitze aufstellte. Es war aufgerichtet. Nicht nur seine Krallen.
“Marcus –”
“Gefreite?”
Das hatte sie verdient. Es gab ihr dennoch einen Stich.
“Was soll ich machen?”
“Halt dich von hochkastigen Barrani fern”, antwortete er gelassen. “Severn ist ebenfalls suspendiert, und euch ist jeder Kontakt untersagt.” Er hielt inne, und sie sah, dass die ausgefahrenen Klauen angespannt waren. Es war Warnung genug, dass sie sich auf seine nächsten Worte gefasst machte.
“Wir haben keine Zeit für so etwas. Wir haben nicht den Luxus, deine kleinen Ausbrüche zu ertragen und zu ignorieren. Catti wird immer noch vermisst. Marrin ist … wütend. Und sie hat Angst. Wir hätten dich für diesen Fall
gebraucht
”, fügte er hinzu und spuckte aus, als die letzten Worte mit einem Fauchen verklangen. “Und wir haben dich nicht.
Wenn wir ihre Leiche finden, spiegele ich dir.”
Sie schloss daraufhin die Augen. Betteln zeigte bei Leontinern nie eine Wirkung. Sie war trotzdem kurz davor.
“Ich habe Teela und Tain auf den Fall angesetzt”, fügte er hinzu. “Und ich glaube, Severn wird sich ihnen ebenfalls anschließen.”
“Aber – du hast gesagt, er ist suspendiert –”
“Meine vorläufigen Informationen besagen, dass er nicht versucht hat, dich umzubringen. Wenn er sich nur verteidigt hat, ist er wahrscheinlich wieder im Dienst, sobald seine Befragung durch ist.” Er beobachtete sie, als wartete er nur darauf, dass sie etwas einwenden würde.
Sie hatte sich noch genug im Griff, um das nicht zu tun.
“Der Drache ist jetzt mit den Recherchen beschäftigt. Er hat mir eine Frage gestellt, und ich gebe sie an dich weiter. Wenn du dich zu einer Antwort entschließt, wird ihm diese Antwort von mir übermittelt.”
“Ich antworte”, sagte sie ruhig.
“Er will wissen, ob du dieses Kind vor Kurzem geheilt hast.”
“Hat er Marrin nicht gefragt?”
“Hat er”, antwortete Marcus mit einem freudlosen Lächeln, “aber sogar in dieser ernsten Situation hat sie uns ihre Antwort vorenthalten.” Er zögerte, doch dann fügte er noch etwas hinzu. “Du verstehst, was das bedeutet?”
Sie war wie betäubt.
“Sie sieht dich als ihr Junges, Kaylin. Du gehörst genauso zu ihrer Familie wie Catti, und sie wird nie eine gegen die andere eintauschen. Das würde keine Rudelführerin tun. Sie hat ihm allerdings gesagt, er solle dich fragen. Sie hält dich für ihre Angehörige, aber auch für eine Erwachsene. Was nach deinem Angriff ein großes Kompliment ist.”
“Aber sie – sie hat die Falken gerufen –”
“Nein”, sagte er ruhig. “Der Falkenlord hat sie geschickt, und das schnell. Sie hätte dich weiter toben lassen.”
“Ja”, antwortete Kaylin und hob ohne zu zögern ihr Kinn. Und dann, um es ganz deutlich zu machen, sagte sie: “Ich habe Catti geheilt.”
“War an dieser Heilung irgendetwas ungewöhnlich?”
Kaylin schluckte. Die Schiene an ihrem Arm war schwer und kalt. Nach einem Augenblick nickte sie.
“Was genau?”
“Sie lag im Sterben”, flüsterte Kaylin. “Nicht – nicht wegen einer Krankheit, nicht wegen der Pest, nicht wegen einer Entzündung. Sie hatte – sie war – gefallen. Sie … hatte sich den Rücken verletzt.”
“Er war gebrochen?”
Kaylin nickte.
Marcus klickte mit seinem massiven Kiefer. “Und du hast sie geheilt?”
“Ich habe sie geheilt. Ich
musste
sie heilen”, fügte sie hinzu. “Und es war … schwer. Es war schwerer als jede Heilung vorher.”
“War sie anders?”
“Ja. Ich musste –” Sie verstummte.
“Ja?”
Ihre nächste Frage beantwortete sie intuitiv selbst. “Tiamaris glaubt, sie haben sie
wegen
der Heilung geholt.”
“Es ist nicht seine Art, seine Beute zu teilen. Er ist ein Drache. Und in diesem Fall besteht seine Beute aus Informationen. Hätte ich gefragt, hätte er nicht geantwortet, und von selbst hat er auch nicht davon gesprochen.” Sein Lächeln veränderte sich. Es war immer noch voller Zähne, doch jetzt hatte es einen Unterton, vor dem Kaylin gerne ein paar Schritte zurückweichen wollte. Ungefähr dreißig, und das so schnell sie konnte. “Aber er ist nicht so klug, wie er meint.”
“Das ist wahrscheinlich unmöglich.”
“Entweder das, oder er weiß, dass du suspendiert bist, er will, dass du die Informationen erhältst, und er weiß, dass du sie mir entlocken kannst, da es ihm
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