Keeva McCullen 2 - In den Klauen der Sukkubus (German Edition)
aufrichten zu können. Er musste wirklich endlich etwas für seine Fitness tun!
Während er mit spitzen Fingern die rauchende Kippe aufhob, bemerkte er einen seltsam hellen Fleck unterhalb der aufgestapelten Kartons. Wilbur überlegte. Es war jetzt Montag, er hatte also erst vor drei Tagen den Kartonstapel für die Müllabfuhr vor das Hotel geräumt. Was auch immer das dort war, es konnte sich demnach noch nicht lange hier befinden.
Ächzend erhob er sich, drückte die brennende Zigarette an einem der Müllcontainer aus und warf den nun ungefährlichen Stummel hinein. Dann wandte er sich den Kartons zu und räumte sie beiseite.
Als Wilbur die letzte Schicht der zusammengedrückten Kartons beseitigt hatte und sehen konnte, was darunter lag, stieß er ein leises, wimmerndes Geräusch aus. Voller Entsetzen wich er zurück und drückte sich gegen die Müllcontainer hinter ihm, einen Teil der Kartons noch in den Händen haltend. Die Kälte, die von den Metallcontainern in seinem Rücken ausging, bemerkte er jetzt nicht mehr, sein Geist wurde vollkommen von dem grauenvollen Anblick vor ihm gefangengenommen.
Bisher kannte er Leichen nur aus dem Fernsehen - doch was dort vor ihm auf dem kalten Boden lag war grauenvoller als jede noch so grässliche Filmleiche, die er bisher gesehen hatte. Der Statur nach schien dieses tote Etwas einmal ein Mann gewesen zu sein. Ganz sicher war sich Wilbur allerdings nicht, denn an dem nackten Körper war jeder Quadratzentimeter Haut aufgeschnitten und auseinandergerissen worden. Blass und rosa schimmerte das Fleisch zwischen den unzähligen Schnitten hervor, eingetrocknetes Blut bedeckte den gesamten Leib und ließen ihn vor Wilburs Augen zu einer dunkelroten, konturlosen Masse verschwimmen. Er merkte, wie ihm schlecht wurde.
Er ließ die Kartons fallen, drehte sich um, quetschte sich zwischen den Müllcontainern durch und lief so schnell er konnte zurück ins Hotel. Er musste die Polizei anrufen, sofort! Und er hoffte, dass er sich dafür noch lange genug beherrschen konnte, auch wenn alles in ihm danach drängte, sich einfach nur schluchzend auf den Boden fallen zu lassen...
*
Theobald Truax hob beim Klang der kleinen Glocke über seiner Ladentür den Kopf. Er lächelte, als er seinen Enkel Shane erkannte, drehte das Radio, das er während der Arbeit gerne hörte, etwas leiser, stand auf und kam hinter seinem breiten Arbeitstisch hervor.
„Ein seltener Gast so früh am Morgen“, begrüßte er Shane und ging zu dem kleinen Teekocher, der auf einer langen Arbeitsplatte an der Wand stand.
„Jetzt tu nicht so“, erwiderte Shane freundlich. „So ein Langschläfer bin ich nun auch wieder nicht.“
Theobald Truax nickte, während er mit bedächtigen Bewegungen zwei Teebeutel in eben so viele Tassen hänge und den Wasserkocher einschaltete.
„Du hast ja recht“, sagte er. „Ich weiß doch, dass du fleißig bist. Und morgens nur dann nicht aus den Federn kommst, wenn du die ganze Nacht auf der Suche warst.“
Er drehte sich um, lehnte sich an die Kante der Arbeitsfläche und betrachtete seinen Enkelsohn, der – die Hände in den Hosentaschen – in der Mitte des kleinen Geschäftes stand.
„Aber viel gab es in letzter Zeit nicht zu tun für einen Dämonenjäger, oder?“, meinte Theobald.
Shane verzog den Mund.
„Nein“, gab er zu. „Nur der große Höllenhund vor vier Wochen, von dem ich dir erzählt habe. Seitdem herrscht wieder Ruhe, bloss das übliche dämonische Kleingetier. Ich patrouilliere regelmäßig, aber anscheinend war es doch blinder Alarm.“
Theobald rümpfte die Nase und schüttelte zweifelnd den Kopf.
„Nein, das glaube ich nicht“, entgegnete er. „Da ist etwas im Gange, ich bin mir ziemlich sicher.“
Der Wasserkocher schaltete ab und Theobald drehte sich um.
„Bei dir scheint der Laden derzeit ja ganz gut zu laufen, oder?“, fragte Shane.
Theobald nickte, während er den Tee aufgoss.
„Ja“, sagte er. „In letzter Zeit geben die Leute wieder mehr Geld für Schuhe aus – und kommen dann mit ihren kleinen Kostbarkeiten zum Schuster, wenn eine Reparatur notwendig ist. Statt sie einfach nur wegzuwerfen und sich ein neues, billiges Paar zu kaufen.“
Theobald Truax führte ein kleines Geschäft, in dem er Uhren, Schmuck und Schuhe reparierte.
„Bist du wegen des Amulettes hier?“, fragte er seinen Enkel.
„Auch“, meinte dieser. „Aber ich habe noch eine andere Frage.“
Theobald nahm die Tassen mit dem fertigen Tee und deutete
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