Keeva McCullen 5 - Kuss der Pandora (German Edition)
daran herum, doch egal in welcher Reihenfolge sie diese drei Mechanismen betätigte, der Kasten sprang nicht auf.
Seufzend erhob sie sich und ging in ihr Badezimmer, wo sie in einem Kosmetiktäschchen herumkramte.
„Ah, hab ich dich!“, sagte sie plötzlich triumphierend und zog eine lange, dünne Haarnadel aus der Tasche.
Derart bewaffnet ging sie zurück in das Wohnzimmer – und nach längerem Gefummel hörte sie schließlich ein leises Klacken.
Phoebe kicherte selbstgefällig. Der jahrzehntelange Umgang mit alten Möbeln, deren Schlüssel nicht mehr auffindbar waren, hatte sie geschult. Sie legte die Haarnadel beiseite, schob die Brille, die ihr im Eifer des Gefechts bis auf die Nasenspitze gerutscht war, wieder hoch und beugte sich neugierig über den hölzernen Kasten. Seine Oberfläche schimmerte sanft.
„Na, dann wollten wir doch mal nachsehen, was du so Geheimnisvolles in dir trägst“, murmelte die alte Dame und hob vorsichtig den Deckel hoch.
Ein enttäuschter Seufzer entfuhr ihr. Der Kasten war leer. Lediglich eine dünne Staubschicht bedeckte sein Inneres.
Moment, dachte sie jedoch gleich darauf. Der Staub bewegte sich ja. Irritiert sah sie hoch. Hatte sie vielleicht aus Versehen ein Fenster offen gelassen? Nein, beide waren geschlossen – genau wie die Zimmertüren.
Kopfschüttelnd und mit gerunzelter Stirn wandte Phoebe sich wieder der Schatulle zu – und wich mit einem leisen Entsetzensschrei zurück. Die dünne Schicht hatte sich weiter bewegt – und schwebte nun als deutlich erkennbare, apfelgroße Kugel zehn Zentimeter über dem geöffneten Kasten!
„Was zum Teufel ist das?“, keuchte Phoebe.
Im gleichen Augenblick erhob sich die durchsichtige Erscheinung und bewegte sich zielstrebig und mit blitzartiger Geschwindigkeit direkt auf ihr Gesicht zu.
Phoebe versuchte auszuweichen, doch es war bereits zu spät: der lebende Staub schwebte für einen kurzen Moment direkt vor ihrem Gesicht – und als sie erschrocken nach Luft schnappte, nutzte die Wesenheit die Gelegenheit und verschwand im Mund der alten Dame.
Phoebe wollte schreien, wollte dieses rauchartige Zeug, das ihr nun in den Mund und den Rachen hinunter quoll, heraushusten oder -spucken, doch jede Gegenwehr war vergeblich - denn der Körperlose, der seit fast fünfzig Jahren in der kleinen, mit hübschen Schnitzereien verzierten Holzschatulle gefangen gewesen war, hatte bereits damit begonnen, die Macht über ihren Körper zu übernehmen ...
*
... und blickte wenige Minuten später entgeistert auf sein Spiegelbild.
Was war denn das? Fünfzig Jahre lang hatte er gewartet, gehofft, seinen Zorn genährt – und nun war der erste und einzige Körper, den er nach seiner Befreiung hatte übernehmen können, ausgerechnet der einer kraftlosen alten Frau?
Fassungslos begutachtete der Dämon die grauen, sorgfältig frisierten Löckchen, das faltige Gesicht und den dürren, gebeugten Körper. Vor Wut heulte er auf – und wurde gleich darauf noch zorniger, als er das dünne Stimmchen vernahm. Nicht einmal laut brüllen konnte er ... es war zum Weinen.
Angewidert wandte er sich vom Spiegel ab und begann, die Wohnung zu durchsuchen. Um den Schreibtisch machte er einen großen Bogen. In seinem hölzernen Gefängnis hatte er genug Zeit verbracht – und allein der Anblick des kleinen Kastens erfüllte ihn mit ohnmächtigem Hass auf die Menschen im Allgemein und dem Mann, der ihn gefangen genommen hatte, im Besonderen.
Der Dämon wusste, dass sein Wächter tot war – er hatte dessen Sterben aus dem Inneren seines Gefängnisses heraus gespürt. Nachdem kurz darauf auch die magische Barriere, hervorgerufen durch den verzauberten Stein aus der zweiten Schatulle, schwächer geworden und schließlich ganz verschwunden war, hatte er gewusst, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er endlich wieder frei sein würde.
Als sich dann jemand - eine weibliche Person, wie er schnell merkte - an seiner Schatulle zu schaffen machte, war er kurz versucht gewesen, ihrem Geist einen kleinen Schubs zu verpassen, sie kurzzeitig gedanklich zu übernehmen und so das Öffnen der Schatulle zu erleichtern. Doch er wartete, wollte seine geschwächten magischen Energien lieber sparen – und es hatte funktioniert. Die Frau hatte das Schloss tatsächlich knacken können - und er war so stolz auf sie gewesen, hatte sie mit Freuden übernommen. Bis er wahrnehmen musste, dass seine Befreierin ein halber Zombie, quasi eine wandelnde Tote, war.
Wie sehr
Weitere Kostenlose Bücher