Keeva McCullen 6 - Der Wiedergänger (German Edition)
sein Innerstes ausfüllte - sogar sein Hunger und seine Müdigkeit waren verschwunden. Der Drang, zur Quelle dieses Lockens zu kommen, war immer größer geworden, und so schnell er konnte war er durch die Nacht geeilt.
Aber als er seinen rufenden Herrn endlich entdeckt hatte und mit freudigen Schritten auf ihn zugesprungen war, hatte dieser sich nicht etwa gefreut, ihn zu sehen, sondern war stattdessen mit angstverzerrtem Gesicht vor ihm zurückgewichen. Dabei hatten sich die Beine des Mannes auch noch in den Falten seines langen Gewandes verheddert und er war nach hinten umgestürzt. Und anschließend reglos auf dem Boden liegengeblieben.
Der Wiedergänger hatte sich neben seinen neuen Meister gesetzt und geduldig gewartet, bis dieser wieder zu ihm sprechen würde, bis die schönen Worte ihn erneut mit Freude und Kraft erfüllen würden - aber nichts war passiert. Außer dass plötzlich zwei Menschen auf die Lichtung gestürmt und laut brüllend in seine Richtung gelaufen waren - und zwar ausgerechnet die beiden, die er zuvor unten im Dorf beinahe umgerannt hätte.
Der Untote hatte zwar in diesem Augenblick erst recht nichts mehr von dem verstanden, was gerade vor sich ging - aber dass der junge Mann mit dem furchterregenden Messer in der Hand und die junge Frau mit diesem seltsamen, silbernen Gerät ihm nicht freundschaftlich gesonnen waren, war offensichtlich. Also hatte er seine Beine in die Hand genommen und war in den Wald geflohen, mit einer Schnelligkeit, die ihn selbst überrascht hatte. Und daraus resultierenden, unerwarteten Konsequenzen ...
All die vergangenen Jahre war er langsam durch die Nacht geschlurft, manchmal auf zwei Beinen, manchmal auch auf allen Vieren. Dabei hatte er instinktiv den Kontakt zu spitzen Ästen, rauen Hausmauern und scharfkantigen Steinen gemieden. Jetzt allerdings, während seiner kopflosen Flucht, hatte er auf nichts dergleichen geachtet. Zuerst hatte ein tiefhängender Ast in quasi erblinden lassen, als sich dieses Stück Haut über seine Augen geschoben hatte - und bei der unmittelbar danach folgenden Kollision mit einem etwas kräftigeren Busch hatte er schließlich beinahe seinen linken Unterarm verloren …
Vorsichtig begutachtete er den Schaden. Am Handgelenk hing nur noch einer der beiden Unterarmknochen, der andere - Handelte es sich dabei und die Elle oder die Speiche? Egal! - stand in einem unnatürlichen Winkel vom Arm ab. Der Wiedergänger versuchte, den Knochen samt der wenigen Fleischreste, die noch daran hingen, wieder zurück in seine ursprüngliche Position zu drücken, aber das Ding sprang immer wieder zur Seite weg. Entnervt riss der Zombie den Knochen schließlich vollends ab und warf ihn ins Gebüsch.
Eine Mischung aus Zorn und Traurigkeit stieg in ihm hoch. Traurigkeit, weil dieser Mann ihn zuerst gerufen und dann im Stich gelassen hatte. Zorn auf dieses Menschenpärchen, das ihn so erschreckt hatte, dass er einfach irgendwohin gerannt war, ohne auf den Weg zu achten. Und nun nicht mehr wusste, wo er war.
Außerdem war sein Hunger zurückgekehrt ...
Plötzlich vernahm er ein leises Rascheln. Schnell zog er sich etwas weiter in das Dunkel des Gebüsches zurück - das fahle Licht der Morgendämmerung löste schon langsam die Nacht ab, wie ihm dabei auffiel - und lauschte.
Erneut ein Rascheln, jetzt ein wenig näher. Das fletschende Grinsen erschien wieder auf seinem Gesicht. Eigentlich sollte er sich schon längst in sein Versteck zurückgezogen haben, da bald die Sonne aufgehen würde, aber der Hunger nagte bereits wieder mit solcher Wucht an seinen Eingeweiden, dass er jegliche Vorsicht über Bord warf. Vielleicht würde er ja heute doch noch zu einer Mahlzeit kommen.
Denn selbst wenn sein Gegner jung und stark sein sollte - mit den Kräften, die der alte Meister auf der Lichtung in ihm wachgerufen hatte, war es ihm leicht möglich, selbst für die nötige Schwächung sorgen …
*
Shane schlich geduckt unter den tiefhängenden Zweigen der Bäume hindurch. Er und Keeva hatten sich ein Stück weiter vorne getrennt, nachdem die Spur des Wiedergängers nicht mehr eindeutig zu verfolgen gewesen war. Er hatte sich - wegen seiner Nachtsichtfähigkeit - für diesen dunklen Pfad hier entschieden, Keeva nahm gerade den Weg außen um das Wäldchen herum.
Shane war überzeugt davon, dass das Monstrum sich hier irgendwo aufhalten musste. Sie hatten den Hautfetzen und Haarresten bis zu diesem Waldstück eindeutig folgen können, erst danach war die
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