Kehraus fuer eine Leiche
ist zu keinem klaren Gedanken fähig. Ich muss zur Ruhe kommen. Aber wie soll das in dieser Lage möglich sein?
Mit einem Blech quadratisch zurechtgeschnittener dampfender Brownies betritt Gudrun das Zimmer. Ihr unruhiger Blick verrät mir, dass sie soeben Petra Prönsfeldt über den Weg gelaufen ist. Dass sie unbedingt wissen will, was das alles mit ihrem David zu tun hat. Diese Erklärung möchte ich gern den Polizisten überlassen. Wie auch die Frage nach Heins Alibi. Gudrun kann sehr heftig reagieren, wenn man ihr unterstellt, etwas nicht mitbekommen zu haben. Hätte Hein seine Arbeit zehn Minuten lang unterbrochen, wäre ihr das mit Sicherheit aufgefallen.
Unter Gudruns Füßen knirscht es. Sie blickt nach unten.
»Was ist denn hier passiert? Warum räumt das niemand weg?«, ruft sie vorwurfsvoll in die Runde. Erwin Hannen bückt sich, hebt zwei briefmarkengroße Scherben auf und legt sie auf den Wohnzimmertisch. Kopfschüttelnd stellt Gudrun das Kuchenblech daneben ab, greift zu Handfeger und Kehrblech neben dem Kaminofen und geht in die Hocke.
»Lass sein. Ich mach das später«, sage ich und stelle mich ihr in den Weg.
Gudrun drückt sich an mir vorbei und beginnt vor dem Sofa zu fegen.
»Füße hoch!«, bellt sie. Die beiden Polizisten gehorchen sofort.
Es ist sehr still geworden. Das rhythmische Geräusch energischen Fegens beherrscht den Raum. Leise Zischlaute – swusch, swusch, swusch … wie die Ankündigung eines Trommelwirbels. Kehraus für eine Leiche, denke ich, Zapfenstreich; weg mit Herrn Wirzig und den haltlosen Verdächtigungen!
Doch Gudrun trommelt nicht. Ohne aufzublicken, bearbeitet sie ruhig, gleichmäßig und zielgerichtet den Boden.
Wo soeben noch geschrien, geweint und angeklagt wurde, stört kein profanes Wort die heilige Handlung des Kehrens. Konzentriert beschwört Gudrun meine dunklen Dielen. An der frisch gefegten Stelle lässt sie sich nieder und arbeitet sich von da auf den Knien rutschend an die winzigen Marienfragmente überall im Raum heran. Keines entgeht ihr. Nicht einmal Porzellanstaub ist vor ihrem scharfen Blick und dem Besen sicher. Strecken, fegen, zusammenkehren; das immer gleiche Ritual, akustisch begleitet von den Streicheltönen der Bürste und dem anschließenden Klingeln von Blech auf Holz. Andächtig sehen wir der Hohepriesterin des Kehrbesens zu. Fegen bringt Segen, geht mir durch den Kopf. In dem sich nun das Chaos merklich lichtet und endlich klaren Gedanken Raum verschafft.
Auch der Druck auf meiner Brust lässt allmählich nach. Ich kann wieder regelmäßig atmen. In Heins Gesicht ist das Blut zurückgekehrt und aus Jupps die Röte etwas gewichen. Eine Aura der Milde umhüllt den vor wenigen Minuten noch so unversöhnlich wirkenden Polizeiinspektor Erwin Hannen, und die strengen Linien um den Mund Marcels haben sich geglättet. Er zündet sich einen Zigarillo an. Gudruns Fegen tut uns allen gut.
Endlich bricht die Vestalin selbst das Schweigen: »Schaut mal her, da hat schon jemand eine Kerbe in das Holz getreten«, sagt die Kehrerin und deutet anklagend auf eine Stelle neben Hein und Jupp. »Geht mal zur Seite.«
Gehorsam machen ihr die beiden Platz. Jupp schiebt Hein einen Sessel zu und stellt sich selbst dahinter.
»Fertig«, erklärt Gudrun befriedigt. Vorsichtig die volle Kehrschaufel balancierend, richtet sie sich auf. »Sauber. Was ist hier eigentlich kaputtgegangen?«
Mehr als nur eine krude bemalte Marienstatue, denke ich mutlos, alles fällt hier gerade auseinander, Gudrun, das kannst nicht einmal du zusammenfegen.
»Ein unwichtiges Erbstück«, antworte ich.
»Ich hole mal Teller für die Brownies«, sagt sie.
»Die kleinen Vierecke kann man auch aus der Hand essen«, bemerke ich. Gudrun sieht mich strafend an.
»Wo ich hier gerade gekehrt habe?«
Ich sage nichts mehr und folge ihr in die Küche.
»Erst mal mache ich uns allen einen schönen starken Kaffee«, sagt sie.
»Nein«, weise ich sie in die Schranken. Auch wenn sie sich soeben sehr wohltuend verhalten hat, geht es nicht an, dass sie in meinem Haus das Kommando jetzt ganz übernimmt. »Das mache ich. Bei mir wird er nämlich von Hand aufgebrüht. Was du verlernt hast. Du kannst ja nur noch Knopfdrücken.«
»Und du dir die Hand verbrennen«, gibt Gudrun zurück und füllt den Wasserkocher.
Lautes Gebell vor der Haustür enthebt mich einer Replik. Mein Hund ist heimgekehrt.
»Kann er hierbleiben?«, fragt Daniel, als ich die Tür öffne und mich von einem übermütigen
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