Kein Alibi: Roman (German Edition)
preisgeben. Selbst wenn sich Hammond dazu hergäbe, die Staatsanwaltschaft als Hilfsmittel vorzuschieben, würde er sich vermutlich auf seine ärztliche Schweigepflicht berufen und sich so lange weigern, seine Akten offen zu legen, bis man sie zum Beweismittel einer Anklage erklärte. Und so weit würde Hammond nie gehen. Das verbot ihm seine Berufsehre.
Außerdem, wie sollte er Informationen über sie einziehen, wenn er nicht einmal ihren Namen kannte?
Dieser Zwiespalt bewegte Hammond, während er von der gegenüberliegenden Straßenseite den hübschen Ziegelbau betrachtete, in dem Dr. Ladd seine Praxis hatte. Ein typisches Beispiel für
einen einzigartigen Architekturstil: das so genannte Einzimmerhaus, das von der Straßenseite nur ein Zimmer breit erschien, dafür aber mehrere Räume weit in die Tiefe reichte. Dieses hier hatte zwei Stockwerke mit einer tiefen Veranda an jeder Seite, auch Piazza genannt, die von vorne bis hinten durchlief.
Von dem verzierten Tor führte auf der rechten Seite des Vorgartens ein kleiner Weg schnurgerade auf eine Haustür zu, die in Charlestoner Grün gestrichen war, ein fast schwarzer Farbton mit einem Schuss Grün. In der Türmitte prangte ein Messingtürklopfer. Wie meistens bei Einzimmerhäusern führte die Eingangstür nicht direkt ins Haus, sondern zuerst auf die Piazza.
Wilder Wein hatte die Fassade größtenteils überwuchert. Nur um die vier hohen Fenster links und rechts der Eingangstür hatte man ihn ordentlich zurückgeschnitten. Unter jedem Fenster hing ein Blumenkasten, der üppig mit Farn und weißen Fleißigen Lieschen bepflanzt war. Es brannte kein Licht.
Gerade als Hammond den Fuß über den Randstein hob und über die Straße gehen wollte, um sich das Ganze näher anzusehen, öffnete sich hinter ihm die Tür und ein riesiger grau-weißer Hirtenhund sauste mit seinem Besitzer im Schlepptau heraus.
»Brr, Winthrop!«
Aber Winthrop ließ sich nicht bändigen. Er wollte unbedingt Gassi gehen und zerrte an seiner Leine. Am Ende des Wegs stellte er sich auf die Hinterpfoten und drückte gegen das Gartentor. Instinktiv wich Hammond ein paar Schritte zurück.
Über diese Reaktion musste der Hundebesitzer lachen. Er zog das Tor auf, und Winthrop schoss hindurch. »Tut mir Leid. Hoffentlich hat er Sie nicht erschreckt. Er beißt nicht, allenfalls schleckt er Sie zu Tode.«
Hammond lächelte. »Macht nichts.« Aber Winthrop hatte keinerlei Interesse an ihm. Er hob das Bein, und schon pinkelte er gegen einen Zaunpfosten.
Offensichtlich wirkte Hammond harmlos, aber leicht verloren, denn der Mann fragte: »Kann ich Ihnen helfen?«
»Ähem, eigentlich habe ich versucht, Dr. Ladds Praxis zu finden.«
»Sie stehen direkt davor.« Der junge Mann deutete mit dem Kinn auf das Haus jenseits der Straße.
»Richtig, richtig.« Der Fremde warf ihm einen höflich-fragenden Blick zu.
»Ähem, ich bin Vertreter«, platzte er heraus, »für Pharmaartikel. Solche Sachen. Auf dem Schild steht nicht, wann die Praxis öffnet.«
»Ich glaube so gegen zehn. Um Genaueres zu erfahren, könnten Sie ja Alex anrufen.«
»Alex?«
»Dr. Ladd.«
»Ach, sicher. Tja, ich hätte anrufen sollen, aber… Sie wissen ja… ich dachte mir… na ja, okay.« Winthrop schnüffelte unter einem Kamelienstrauch herum. »Danke. Viel Spaß, Winthrop.«
Hoffentlich würde der Nachbar nie diesen stotternden Idioten mit dem Assistenten des Bezirksstaatsanwalts in Verbindung bringen, der häufig bei Interviews im Fernsehen zu sehen war. Hammond tätschelte den Kopf des Wuschelhundes, ehe er sich in die Richtung in Bewegung setzte, aus der er gekommen war. »Eigentlich haben Sie sie nur um Sekunden verpasst.«
Hammond fuhr herum. »Sie?«
Mr. Daniels vermied jeden Augenkontakt mit Smilow oder Steffi, als die beiden wieder sein Krankenzimmer betraten und sich links und rechts von seinem Bett aufstellten. Smilow fand, dass der Patient inzwischen deutlich unbehaglicher wirkte als vor einer Viertelstunde, aber dass dahinter keine gastroenterischen Probleme steckten. Es erinnerte ihn mehr an ein schlechtes Gewissen.
»Die Krankenschwester meinte, Sie würden sich an etwas erinnern, das für unsere Ermittlung hilfreich sein könnte.«
»Vielleicht.« Nervös schossen Daniels’ Augen zwischen Smilow und Steffi hin und her. »Sehen Sie, es ist wie folgt. Seit meinem Ausrutscher –«
»Ausrutscher?«
Daniels schaute Steffi an, die ihn unterbrochen hatte. »Fremdgehen.«
»Sie hatten ein
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