Kein Blick zurueck
waren nicht gegangen. »Komm her und setz dich für eine Minute zumir«, sagte sie, als sie zurückkam. »Lass uns die Sache gemeinsam überdenken. Ich glaube, der Reporter könnte recht haben. Einerseits habe ich das Gefühl, dass wir die Tür verriegeln und nie wieder ein Wort mit diesen Leuten reden sollten. Andererseits denke ich mehr und mehr, dass es an der Zeit ist, ein für alle Mal unsere Seite der Geschichte zu erzählen.« Nun war die Reihe an Mamah, auf und ab zu gehen. »Denke nur mal einen Augenblick darüber nach, was geschehen würde, wenn wir dieser ganzen Hexenjagd mit einer von Herzen kommenden Erklärung unsererseits die Krone aufsetzen würden. Ich glaube, das würde helfen.«
»Du hast eine ziemlich hohe Meinung vom Mann auf der Straße.«
Frank blieb eine Weile nachdenklich sitzen, dann stand er auf und ging in die Küche. Mamah konnte die Erleichterung in den Stimmen der Reporter hören, als sie durch die Küchentür ins Haus drängten. Wahrscheinlich waren sie halb erfroren. »Kommen Sie morgen wieder«, hörte sie Frank zu ihnen sagen. »Morgen werde ich mit Ihnen sprechen. Seien Sie um zehn Uhr hier.« Er ließ sie ein paar Minuten bleiben, um sich aufzuwärmen, dann schickte er sie wieder hinaus.
»Findest du es klug, sie am Weihnachtstag zurückkommen zu lassen?«, fragte sie, als sie gegangen waren. »Vielleicht sollten wir bis zum Tag nach Weihnachten warten.«
»Wenn wir reden wollen, gibt es keine Regeln, denen wir folgen können. Wenn das bedeutet, dass am Weihnachtstag eine Pressekonferenz stattfinden muss, dann ist das eben so.«
Im Laufe des Nachmittags und bis weit in den Abend hinein bemühten sie sich, die richtigen Worte zu Papier zu bringen.
»Ich werde reden«, sagte er. »Dich kreuzigen sie, sobald du den Mund aufmachst.«
Er versuchte, sie zu beschützen. Als sie ihn so, mit verschränkten Armen, dasitzen sah, wusste sie, dass er in diesem Punkt nicht nachgeben würde. »Dann sag, ich sei mit allen deinen Aussagen einverstanden.«
»Einverstanden.«
Er las ihr während des Formulierens die Sätze vor, und Mamah korrigierte sie, reagierte auf die Worte, die er gewählt hatte, um sein Leben mit seinem Innern in Einklang zu bringen. Um neun fühlte Frank sich ausgelaugt. Im Bett starrte sie in die Dunkelheit und wartete auf das Vergessen, das der Schlaf bringen würde.
Am Morgen zündete Frank in den Kaminen Feuer an und nahm ein Bad. Als er aus dem Badezimmer kam, trug er seinen leuchtend roten Hausmantel über einem weißen Hemd und Pyjamahosen. »Wir werden unser Weihnachtsfest feiern, und wenn es nur für zehn Minuten ist«, sagte er. Sie nahm ein Bad, zog sich an und ging rasch über den Flur. Es blieb nicht mehr viel Zeit, bis die Reporter wie angekündigt erscheinen sollten. Als sie sah, dass unter dem Baum ein Geschenk auf sie wartete, lief sie zurück und zog das verpackte Fotoalbum unter dem Bett hervor, das sie für ihn zusammengestellt hatte.
Sie nahmen sich ihre zehn Minuten, und er sah sich die Bildergeschichte von Taliesin aufmerksam an, und sie bewunderte den Genroku-Kimono, den er für sie besorgt hatte. Er war wunderbar gefärbt und mit Kiefern, Blauregen und zerklüfteten Felsen bestickt.
Sie trug ihn zurück in ihr Schlafzimmer und breitete ihn auf dem Bett aus. An jedem anderen Weihnachtsmorgen hätte sie ihn angezogen, um ihm eine Freude zu machen. Auch, um sich selbst eine Freude zu machen. Sie zögerte,dann hielt sie ihn vor sich und betrachtete sich vor dem langen Spiegel des Schranks. In wenigen Sekunden war sie aus ihrem Kleid geschlüpft und hatte sich in den Kimono gewickelt.
In der Küche kochte sie zwei Kannen Kaffee und dachte kurz daran, Kekse anzubieten, überlegte es sich dann jedoch anders. Sie war nicht gewillt, sich so tief zu bücken. Frank saß am Tisch, während sie den Haferbrei zubereitete, und blätterte in den Weihnachtsausgaben der Zeitungen, die Jennies Mann Andrew an diesem Morgen vom Bahnhof in Spring Green mitgebracht hatte. »Gott sei Dank für Mrs. Upton Sinclair«, sagte er. »Sie hat uns von der Titelseite verdrängt.«
Mamah blickte ihm über die Schulter. Dort war neben der Schlagzeile WAHLVERWANDTE DES DICHTERS ERKLÄRT, SIE WOLLE LEDIGLICH FREIHEIT FÜR IHR HANDELN ein Porträt der unglücklichen Frau abgebildet. Mamah krümmte sich bei dem Wort Wahlverwandte. Die Klatschpresse hatte ein wunderschönes Wort in eine Waffe verwandelt – in ein Codewort für »lächerliche Hure«.
»So ist’s recht«,
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