Kein Blick zurueck
dienen… Ich wollte an erster Stelle mir selbst gegenüber aufrichtig sein und mich danach um alles andere kümmern. Ich kann heute mehr für meine Kinder tun, als ich es hätte tun können, wenn ich geopfert hätte, was in meinen Augen das Leben selbst ausmacht. Ich glaube an meine Kinder, doch Eltern können niemals an Stelle ihrer Kinder deren Leben leben. Auf diese Weise wird mehr zerstört als gerettet. Ich möchte kein Vorbild für sie sein. Ich möchte, dass sie ausreichend Raum haben, um heranzuwachsen und sie selbst zu sein.
Ich habe ihnen nichts vorenthalten und werde ihnen nichts vorenthalten. Mein Verdienst steht ihnen ebenso rechtmäßig zur Verfügung wie immer. Ich hoffe, jemand für sie zu sein, der ihnen Hilfe bietet und ihnen einen Blick auf bessere Dinge eröffnet. Wenn sie ein wenig älter sind, hoffe ich, dass sie mich in einem anderen Licht sehen werden.«
»Und Mrs. Wright?«
»Mrs. Wright hat ihre eigene Seele, und ihr Herz und ihre Gedanken sind mit weit größeren Dingen beschäftigt. Es steht mir nicht zu, zu sagen, was sie möglicherweise tun wird.«
Frank wandte den Blick nachdenklich ab, dann richtete er sich wieder direkt an die Männer. »Sehen Sie«, sagte er, »es hieße, etwas für die Gesellschaft Kostbares zu verschwenden, wenn diese Angelegenheit mich meiner Arbeit beraubte. Ich habe mich bemüht, in der amerikanischen Architekturetwas Wahres zum Ausdruck zu bringen. Ich habe etwas zu geben. Es wäre ein Unglück, wenn die Welt sich entscheiden würde, nicht anzunehmen, was ich zu geben habe. Und was den allgemeinen Aspekt dieser Sache angeht, so möchte ich Folgendes sagen: Gesetze und Regeln sind für den Durchschnittsmenschen geschaffen.«
Mamah stand unvermittelt auf. Sie wusste, was als Nächstes kommen würde. Sie versuchte, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch Frank sprach einfach weiter.
»Der gewöhnliche Mann kann ohne Regeln, die sein Verhalten festlegen, nicht leben. Es ist unendlich viel schwieriger, ohne Regeln zu leben, doch ein wahrhaft aufrichtiger, ernsthafter, denkender Mann muss genau das tun. Und ich glaube, wenn ein Mann geistige Kraft bewiesen hat, einen konkreten Beweis erbracht hat für seine Fähigkeit, im Leben höhere und bessere Dinge zu sehen und zu empfinden, sollten wir uns mit unserem Urteil darüber, ob sein Handeln schlecht war, zurückhalten.«
Mamah warf ihm wütende Blicke zu. Hatte er nicht gehört, was sie an diesem Morgen zu ihm gesagt hatte? Dass nichts besser ins Konzept passte als jemand, der sich für bedeutender hielt als der gemeine Mann? Es hieß, den Löwen Fleisch zum Fraß vorzuwerfen.
»Mehr möchte ich dazu nicht sagen, meine Herren«, sagte er, als sie endlich seinen Blick auffangen konnte. »Wenn Sie sich ansehen möchten, was ich hier geleistet habe, führe ich sie durch Taliesin.«
Während Frank sich umzog, standen die Männer wartend in der Diele. Sie erkannte, dass er sie absichtlich warten ließ, wahrscheinlich, damit sie ihren Redaktionsschluss nicht mehr rechtzeitig schafften. Mamah räumte die Kaffeetassen zusammen und stellte sich dann an die Wand, um zu lauschen.
Sie schwiegen zunächst, doch dann hörte sie ihr schuljungenhaftes Gefeixe. Sie stand wie erstarrt und hörte ihnen zu. Sie vernahm die Worte »Kimono« und »rot«, während ihr Gekicher zu unterdrücktem Gelächter anschwoll.
Mamah ging eilig in die Küche.
»Ich fand, das Interview verlief recht gut«, sagte Frank ruhig, als er endlich auftauchte.
Sie sah ihn an, wie er in seinem selbst entworfenen Anzug und mit herrschaftlichem Gebaren vor ihr stand. Sie betrachtete ihn mit den Augen der Reporter – und sah eine allzu sehr von sich selbst eingenommene, exzentrische Männergestalt. In diesem Moment wusste sie, dass man sie nicht schonen würde.
»Schick sie einfach fort«, sagte sie.
Kapitel 39
Der Morgen des 26. Dezember nahm seinen Anfang mit einer Schar schnatternder Reporter, die das Tor zu stürmen versuchten. Josiah brachte die Zeitungen ins Haus, die die Männer ihm bei seiner Ankunft in die Hand gedrückt hatten. Mamah überflog sie und verweilte kurz bei den verletzenden Abschnitten.
Offenbar empfand Mr. Wright keinerlei Bedauern über seine Abwesenheit von seinem Haus in Oak Park, wo seine ihm gesetzlich angetraute Gattin mit ihren sechs Kindern das Weihnachtsfest verbrachte, und auch Mamah Borthwick schien das vergangene Weihnachtsfest vergessen zu haben, das sie mit ihrem Mann und ihren Kindern gefeiert
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