Kein Blick zurueck
weggebrannt. Hinter den wie nasse Kristalle glitzernden Eiszapfen war der Himmel hellblau gefärbt wie ein Rotkehlchenei. Mamah meinte, zwischen den erstarrten Gräsern auf dem Feld ein sich bewegendes weißes Etwas auszumachen. Wahrscheinlich ein Hase auf der Suche nach Rinde, Zweigen oder Knospen. Frank hatte gesagt, Hasen verfärbten sich im Winter ganz weiß, um sich vor Räubern zu schützen. Doch um etwas zu fressen zu finden, mussten sie aus der Deckung kommen.
Mamah nahm ihr Fernglas vom Regal, zog Stiefel und Mantel an und trat eilig hinaus in den Schnee. Sie lief rutschend und mit Schlittschuhschritten über die vereiste Einfahrt und blieb stehen, um einen Blick zurückzuwerfen. Der Fransensaumaus Eiszapfen um Taliesin glitzerte. Oh, es fühlte sich wunderbar an, an der frischen Luft zu sein. Bei der Rückkehr würde sie Frank aus dem Haus holen, um ihm zu zeigen, wie sehr seine »schimmernde Braue« schimmerte.
Sie ging in Richtung der Felder, und bei jedem Schritt brach die Eisschicht, und sie sank bis zu den Knien in den Schnee. Sie hielt beim Gehen den Kopf gesenkt, und das Fernglas baumelte ihr um den Hals. Als sie den Kopf hob, um nachzusehen, wo sie sich befand, blickte sie geradewegs in die Sonne. Ihre Pupillen zogen sich in dem blendenden Licht augenblicklich zusammen. Sie sah nur noch pulsierende Wellen von Weiß. Als sie sich umdrehte und zum Haus hinsah, konnte sie keine klaren Konturen erkennen. Nirgendwo eine scharf umrissene Form. Nicht einmal ihre Füße konnte sie mehr erkennen. Du Närrin, dachte sie und lachte laut auf. Knietief und schneeblind.
Sie schloss die Augen und wartete, bis es vorüber war.
Kapitel 41
Gegen Ende April brach der Frühling aus den starren Zweigen und spähte aus dem aufgeweichten Boden. Winzige grüne Fäustchen entrollten sich. Mamah hegte die Hoffnung, dass der Frühling seinen Duft nicht zurückziehen und sich wieder davonmachen würde.
Im Februar waren die Samenkataloge eingetroffen. Als die wenigen Päckchen, die sie geordert hatte, Mitte März mit der Post eintrafen, säte sie die Samen in Kaffedosen und stellte sie in ihrem Arbeitszimmer an die Fenster, die nach Süden hinaussahen.
Wann immer sie und Frank im Februar und März einen MomentZeit füreinander fanden, unterhielten sie sich über die Pflanzungen. Frank brütete über seinen eigenen Katalogen mit Pflaumen- und Apfelsorten. »Dieser Gelbe Transparent hier«, sagte Frank einmal, »als ich ein Kind war, nannten wir ihn Ernteapfel, weil er genau dann reif wird, wenn der Weizen gedroschen wird.« Und dann ging es los, und er sprach von seinen Erinnerungen an die Kuchen, die seine Tanten zur Erntezeit gebacken hatten, und an die Wanderarbeiter, die sie aufgegessen hatten.
Pflanzfieber war für Mamah nichts Neues. Selbst in ihrer Berliner Pension, als sie keinen Quadratmeter eigenen Boden gehabt hatte, hatte sie ihre Freude daran gehabt, sich auszumalen, was sie pflanzen würde, wenn sie die Möglichkeit dazu hätte. Ihre Wahl war auf eine japanische Pfingstrose gefallen, die sie in einem Buch gesehen hatte, eine Sorte mit herzergreifend weißen Blüten und himmlischem Duft.
Jetzt bezogen sich die Pflanzenträume auf einen kolossalen Rahmen – zwölf Hektar, die bedacht werden mussten, einschließlich eines Obstgartens und eines Weinbergs. Dann gab es den terrassierten Garten, der bis zur Hügelkuppe anstieg, wo Frank zwei majestätische Eichen mit niedrigen Sandsteinmäuerchen eingefasst und damit einen abschüssigen Hanggarten und den »Teezirkel« geschaffen hatte. Außerdem gab es überall ums Haus Rabatten.
Frank hatte sich mit seinem Freund Jens Jensen über den Obstgarten und den Weinberg beraten. Er vertraute auf die Liste von Apfelbäumen und Traubensorten, die Jensen vorschlug, und fügte seine eigenen Favoriten hinzu. Doch Mamah hatte ihre eigenen Autoritäten – an erster Stelle Gertrude Jekyll, die englische Gärtnerin. Mamah kannte Jensens Landschaftsarchitektur im Präriesstil, bewunderte sie sogar. Doch Gräser ließen ihr Herz nicht höherschlagen,wie Rosen das taten. Als noch weitere Kataloge ankamen, ließ die Liste der Gewinner bei den Landwirtschaftsausstellungen sie ganz kribbelig werden.
»Sind diese gestreiften kleinen Nelken nicht allerliebst?«, sagte sie in einem Moment der Kapitulation. Sie deutete auf ein Aquarell auf der Titelseite eines Katalogs.
»Missgeburten«, sagte er.
»Aber Stockrosen würden sich vor dem Verputz vielleicht hübsch ausmachen«, schlug
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