Kein Blick zurueck
ergrauendes Haar verlieh ihm eine neue Würde und Kraft.
»Du sagst immerzu, du würdest Geld verlieren, wenn du die Drucke jetzt verkauftest – dass du sie eine Weile behalten musst, um Gewinn zu machen«, sagte sie. »Nun, ich sehe einen anderen Weg, sie profitabel zu machen. Der Japonisme ist der letzte Schrei. Warum schreibst du nicht ein Buch darüber, wie ein japanischer Holzschnitt zu verstehen ist?« Noch in derselben Stunde stürzte er sich mit Haut und Haaren in dieses Projekt.
Nachdem sie sich eingerichtet und organisiert hatte, wandte Mamah sich wieder ihrer eigentlichen Arbeit zu. Dem schmerzlichen Brief, den Ellen ihr im vergangenen November geschickt hatte, waren zwei Essays beigelegt gewesen, die Mamah übersetzen sollte. Der eine, mit dem Mamah begonnen hatte, hieß Missbrauchte Frauenkraft . Ellen hatte ihn 1896, vor siebzehn Jahren, in Schweden veröffentlicht. Mamah wusste sehr wenig darüber. Nachdem sie ein paar Seiten übersetzt hatte, wurde ihr jedoch immer unbehaglicher zumute.
Ellen argumentierte, dass die Energie der Frau dafür aufgewendet werden sollte, Kinder großzuziehen, dass die Suffragetten sich auf dem Holzweg befanden, sich so intensiv auf den Beruf und gleiche Bezahlung zu konzentrieren, während ihre eigentliche Aufgabe darin bestand, Mutter zu sein. Eine Frau, die es aus dem Haus drängte, um die Arbeit eines Mannes zu leisten, bedeutete, den angestammten Posten der Frau an der Wiege als Gestalterin der menschlichen Rasse aufzugeben. Es wäre weit besser, argumentierte Ellen, wenn die Emanzipationsbewegung darauf hinarbeitete, die Arbeit der »Mutter« lohnenswert zu machen und ihr größere Geltung zu verschaffen.
Es war nicht das erste Mal, dass Mamah auf dieses Argument stieß. Auch in Liebe und Ethik hatte Ellen es vorgebracht. Doch dort war es nicht Hauptthema gewesen.
»In ihrem Essay Missbrauchte Frauenkraft schießt sie aus dem Hinterhalt gegen die Suffragetten.« Mamah war gerade dabei, Zwiebeln zu rösten. Frank saß am Küchentisch und schärfte das weiche Blei seiner Zeichenstifte zu perfekten Spitzen.
»Es ist komisch«, sagte Mamah. »Ich erinnere mich an meine erste Begegnung mit Else in diesem Berliner Café. Eine der Frauen an ihrem Tisch – eine Frau namens Hedwig – nannte Ellen ›die weise Närrin der Frauenbewegung‹. Ich war verdutzt, als sie das sagte, doch in jener Nacht passierte so viel…
Ungefähr einen Monat später begegnete ich Hedwig zufällig wieder. Ich ging mit ihr ins Café und fragte sie, was sie damals gemeint hätte. Sie erklärte mir, Ellen werde in Europa als Verfechterin einer neuen Moral verehrt, von den Suffragetten sei sie jedoch wegen einer Sache verpönt, die 1896 vorgefallen war. Anscheinend hatte sie bei einem Frauenkongress eine Rede gehalten und darin die gesamte Suffragettenbewegungattackiert, da sie der Meinung war, dort würden gleiche Bezahlung und das Wahlrecht höher bewertet als die Aufgabe der Mutter, die, so Ellens Diktum, die einzig legitime Arbeit einer Frau sei. Offenbar sandte diese Rede Schockwellen durch ganz Europa. Ellen hatte haufenweise ergebene Anhängerinnen, und auf diese Rede hin wandten sich viele von ihnen von der Suffragettenbewegung ab. Hedwig sagte, damit habe sie die Bewegung in Deutschland um zehn Jahre zurückgeworfen.«
»Ellen Key?« Frank blickte Mamah ungläubig an.
»Ja. Ich schätze, Ellen kam ein paar Jahre später nach Berlin und unterstützte das Frauenwahlrecht, doch der Schaden war angerichtet. Die Suffragettenbewegung versucht bis heute, sich von dem Schisma zu erholen, das sie geschaffen hat. Und jetzt kommt der interessante Teil: Diese Rede von 1896 hatte den Titel Missbrauchte Frauenkraft . Und ebendieses Dokument liegt derzeit auf meinem Schreibtisch. Ebendiesen Text soll ich für sie übersetzen und den Frauen in Amerika näherbringen.«
»Und du hast Angst, wenn du diesen Text veröffentlichst, wird er die Bewegung hier zurückwerfen.«
»Absolut. Ich würde dieses Machwerk am liebsten wegwerfen, aber sie möchte unbedingt, dass es an die Öffentlichkeit gelangt. Was mich verwundert, ist, wie sie 1912 immer noch daran glauben kann.«
»Menschen haben nun mal blinde Flecken.«
»Doch es steht so sehr im Widerspruch zu all dem, was sie sonst über persönliche Freiheit geschrieben hat. Und sie verfügt mittlerweile über einigen Einfluss. Das wollte ich dir eigentlich erzählen. Die Frauen heutzutage lesen Ellen Key.«
»Wirklich? Das sind große Neuigkeiten. Wie
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