Kein Blick zurueck
da. Martha ist mit ihrem Vater unterwegs. Sie sind zum See gegangen. John hatte ein Baseballspiel. Er ist auf dem Schulsportplatz.«
»Ich verstehe.«
»Lassen Sie mich nachsehen, ob Lizzie da ist. Bitte nehmen Sie Platz.«
Mamah blickte sich um. Das Wohnzimmer war tadellos aufgeräumt; auch hier hatte sich kaum etwas verändert, seit sie es verlassen hatte. Es gab nur einige kleine Neuerungen. Ein unbekanntes Spitzentischtuch auf dem Esstisch. Durchbrochene weiße Vorhänge am Fenster der Bibliothek.
»Sie muss zum Laden gegangen sein. Sie sagte vorhin, dass sie das tun wollte. Sie können gerne warten. Das macht keine Umstände. Außerdem habe ich gerade Limonade gemacht.«
»Vielen Dank.«
Als Elinor zurückkam, setzte sie sich Mamah gegenüber vor den Kamin. Sie hantierte mit den Gläsern und den Servietten und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Glas, ehe sie so weit war, etwas zu sagen. »Der Garten, den Sie angelegt haben, ist sehr hübsch.«
»Elinor«, setzte Mamah an, »es ist sehr nett von Ihnen, mich ins Haus zu bitten. Lizzie und Edwin haben so liebevoll von Ihnen gesprochen. Ich möchte, dass Sie wissen, dass ich es Ihnen sehr hoch anrechne, wie gut Sie zu meinen Kindern waren.«
Elinor schüttelte den Kopf. »O nein, bitte. Es ist so einfach. Ich liebe sie.« Sie schien im Begriff, mehr zu sagen, hatte den Mund schon halb geöffnet, brachte dann jedoch keinen Ton heraus. Es herrschte eine Atmosphäre der Verlegenheit. »Ich habe John und Martha etwas mitgebracht«, sagte Mamah. »Nur die Gummibonbons, die sie so gerne mögen. Darf ich sie auf ihre Betten legen?«
Falls Elinor ihre schwache Ausrede, die Zimmer der Kinder zu betreten, durchschaute, ließ sie es sich nicht anmerken. »Selbstverständlich. Gehen Sie nur.«
Mamah ging über den Flur zuerst in Johns Zimmer. Sie trat ein und wartete, bis ihre Augen sich an das düstere Nachmittagslicht gewöhnt hatten. Das Zimmer hatte sich verändert.Es war jetzt das Zimmer eines Elfjährigen, mit Baseballwimpeln an der Wand und der Tasche eines Zeitungsjungen, die an ihrem Tragegurt über dem Schreibtischstuhl hing. Kein Hinweis auf die bunte Eisenbahn, die ihn einst so fasziniert hatte, oder auf die Dutzende von Geschenken, die sie ihm aus Deutschland und Italien geschickt hatte. Als sie sich umblickte, hob eine laue Brise die Vorhänge und brachte auf dem Fenstersims eine Reihe mit Fossilien verkrusteter Sandsteinbrocken zum Vorschein. Ihr Hals schmerzte vor Glück. Die wenigen Fossilien, die sie zusammen gesammelt hatten, als er sechs war, waren zu einer Sammlung angewachsen.
»El!« In diesem Moment hörte Mamah von draußen Lizzies rufende Stimme. »Kannst du bitte die Fliegengittertür aufmachen? Ich habe die Hände voll.«
»Komme«, rief Elinor zurück.
Mamah fühlte sich wie ein Eindringling, ging jedoch trotzdem noch rasch zu Marthas Tür. Sie ließ die Bonbonschachtel auf die rüschenbesetzte Bettdecke fallen. Das Zimmer ihrer Tochter war inzwischen mit einer sonnigen Blümchentapete tapeziert. Puppen überall.
Mamah schlüpfte aus dem Zimmer und ging über den Flur in die Küche, wo Lizzie zwei große Tüten mit Lebensmitteln auspackte. Ihre Mundwinkel sanken herab, als sie ihrer Schwester ansichtig wurde.
»Komm, ich helfe dir«, sagte Mamah.
Sie gingen durch die Haustür und auf dem Gehweg die East Avenue entlang. »Ich wollte dich unbedingt sehen, Liz. Wir haben so lange nicht mehr miteinander gesprochen.« Ihre Schwester blieb verschlossen. »Du hast mir so gefehlt.«
Lizzie ging langsam neben ihr her, ohne Mamahs Blick zu erwidern. Sie sah älter aus. Was es in ihren kraftvollen,scharf geschnittenen Zügen an Weichheit gegeben hatte, war in den vergangenen Jahren abgeschliffen worden. Sie bestand nur noch aus Kanten und Winkeln.
»In Wahrheit bin ich gekommen, um mich bei dir für all die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen, die ich dir aufgebürdet habe. Ich habe es dir schon früher gesagt, und ich kann es nicht oft genug wiederholen. Ich segne dich jeden Tag dafür, dass du eingesprungen bist und dich der Kinder angenommen hast. Ohne deine Hilfe hätte ich nie in Berlin bleiben können.«
»Was immer ich getan habe, habe ich für John und Martha getan.«
Mamah holte tief Luft. Lizzies kantige Kiefer, die den ihren so ähnlich waren, wirkten verbissen.
»Denkst du, ich weiß nicht, wie sehr sie gelitten haben?« »Ich weiß nicht mehr, was du weißt, Mamah.«
»Ich weiß auch, dass du gelitten hast, Liz. Du warst
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