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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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geben. Ihr Selbstvertrauen wuchs mit jedem Tag als Leiterin der Farm. »Gute Arbeit«, hatte Frank einige Male die Entscheidungen kommentiert, die sie in seiner Abwesenheit gefällt hatte.
    Dennoch wünschte sie sich jetzt, er wäre da.
    Nach dem Abendessen rief Mamah Julian in die Küche, wo Gertrude das Geschirr abwusch.
    »Ich gebe nicht Ihnen allein die Schuld an dem Unfrieden, den wir hier hatten, Julian«, sagte sie. »Ihre Arbeit und die Gertrudes war sehr gut. Doch Sie scheinen mit den anderen Männern zu viele persönliche Differenzen zu haben. Taliesin mag Ihnen groß erscheinen, aber eigentlich ist es klein, und wenn die Menschen hier nicht miteinander auskommen, empfinden wir alle die Belastung. Es tut mir leid, aber ich halte es für das Beste, wenn Sie und Gertrude nach Chicago zurückkehren.«
    Julians Stimme zitterte, als würde er gleich zu weinen beginnen. »Weiß Mr. Wright davon?«
    »Ich spreche für Mr. Wright«, sagte sie. »Wenn diese Woche am Samstag zu Ende ist, wird auch Ihr Aufenthalt hier zu Ende sein. Jemand wird Sie am Sonntag nach Spring Green zum Zug bringen.«
    Gertrude hatte mit gesenktem Kopf daneben gestanden, als Mamah sprach. Jetzt sah sie ängstlich zu Julian hinüber. An diesem einen Blick las Mamah ihre ganze Beziehung ab. Sie zweifelte nicht daran, dass Julian Gertrude hart anging.
    »Nun gut«, sagte er schließlich.
    Mamah berührte Gertrudes Arm, dann wandte sie sich ab und verließ die Küche.
    In jener Nacht konnte sie nicht einschlafen. Sie ging in das Zimmer der Kinder und schmiegte sich an Marthas feuchten, kleinen Körper. Mamah hatte hier auf dem Land immer tief und fest geschlafen. Jetzt hörte sie, wie die heiße Brise vor dem Schlafzimmer durch die Eiche strich. Immer wieder raschelte das Laub, dann wurde es wieder still.
    Sie lag wach und lauschte auf die hohen, anhaltenden Triller der Frösche und auf die Insekten. Für ein paar Minuten war sie wieder ein Mädchen in einem dünnen Baumwollnachthemd, das ausgestreckt auf dem Bett lag und versuchte, in der drückenden Hitze jede Bewegung zu vermeiden. Damals hatte sie alle Geräusche für selbstverständlich gehalten. Als Kind hatte sie sich nie um die Frage gekümmert, welche Insekten an dem nächtlichen Spektakel welchen Anteil hatten. Diese Geräusche erschienen ihr heute wie die Essenz ihrer frühen Sommer. Sie dachte an die Häuser in ihrer Straße zu ihrer Mädchenzeit. An die Stimmen aus der Dunkelheit der Veranden. An die Familien, die auf den Treppenstufen saßen, sich leise miteinander unterhielten, lachten. Die Gewissheit, die all dem zugrunde lag.
    Mamah strich Martha ein paar nasse Strähnen aus dem Gesicht. Was für eine verzauberte Kindheit ich hatte, dachte sie. Und als sie schließlich einschlief, fiel ihr ein, dass es für Martha allmählich Zeit wurde, mit dem Französischunterricht zu beginnen. Sie machte sich in Gedanken eine Notiz, dass sie für den Herbst in Oak Park einen Lehrer finden musste.
    Der Freitag verging ohne weitere Streitigkeiten. Das Mittagessen servierte Julian den Männern im Esszimmer, ohne dass zwischen ihnen noch ein Groll zu herrschen schien. Am Samstag klopfte Gertrude um acht Uhr morgens an Mamahs Schlafzimmertür. Sie hatte dieselbe sorgenvolle Miene wie vor zwei Tagen. »Ein Anruf für Sie, Ma’am«, sagte sie.
    »Die Drescher sind eingetroffen!« Dorothea Bartons Stimme am anderen Ende der Leitung klang mädchenhaft. »Kommen Sie herüber?«
    »Das wollen wir unter keinen Umständen verpassen.«
    »Können Sie es noch bis Mittag erwarten? Die Männer wollen erst alles in Gang bringen.«
    »Gegen eins?«
    »Das ist perfekt. Und ich hoffe, Sie bleiben zum Abendessen. Wir feiern immer ein kleines Fest. Sam spielt auf der Fiedel, und die Leute tanzen. Sie wissen doch, wie der Fußboden in unserem Wohnzimmer in der einen Ecke irgendwie absackt? Am Ende des Abends drängeln wir uns alle genau an dieser Stelle. Oh, aber es ist ein großer Spaß.«
    »Was können wir mitbringen?«
    »Euch selbst. Und zu einem von Gertrudes Kuchen würden wir nicht nein sagen.«
    Mamah sah zu der finster dreinblickenden Köchin hinüber, die gerade den Schinken anbriet. »Das kann ich nicht versprechen, aber wir werden sehen.« Nachdem sie aufgelegt hatte, überlegte sie, ob sie mit Gertrude sprechen sollte, ging stattdessen aber ins Esszimmer, wo Julian die Teller für das Frühstück deckte.
    »Guten Morgen«, sagte sie zu ihm.
    »Guten Morgen.« Sein Gesicht zeigte nicht mehr den
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