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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck
Autoren: Nancy Horan
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sind von ihr umgeben und umschlungen – unvermögend aus ihr herauszutreten, und unvermögend tiefer in sie hineinzukommen. Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen.
    Frank liest den langen Text zu Ende, und seine Stimme bricht, als sich auf seinem Gesicht kalter Regen mit seinen heißen Tränen vermischt.
    Sie hat mich herein gestellt, sie wird mich auch heraus führen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten. Sie wird ihr Werk nicht hassen. Ich sprach nicht von ihr. Nein, was wahr ist und was falsch ist, alles hat sie gesprochen. Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst.
Kapitel 54
    In dem kleinen Schlafraum hinter dem Studio hat Frank sich in seinem Bett zusammengerollt und durchlebt noch einmal die vergangene Woche. Am Dienstag starben sowohl Tom als auch David, und am Mittwoch bestattete Frank David im Familiengrab. Insgesamt hat es sieben Tote gegeben – nur Billy und Fritz haben überlebt.
    Als er schließlich einschläft, zucken seine Glieder in einem Traum, in dem er Julian Carlton mit den Händen in das vom Wahnsinn verzerrte Gesicht schlägt. Er sieht Mamahs versengte Kopfhaut, die spärlichen, verbliebenen Strähnen ihres dichten Haars, die von ihrem Kopf abstehen wie wilde Grasbüschel. Er springt voller Entsetzen auf, läuft nach draußen, um sich auf die Erde zu legen, doch alles ist durchnässt. Es gießt seit dem Abend, als er sie begraben hat. Sonntagnacht gab es sogar ein Hagelunwetter.
    Manche würden in dem Hagel und dem ganzen Albtraum ein Zeichen sehen für die Abrechnung des Himmels mit Mamah Borthwick. Er muss das »Es war die Hand Gottes« nicht hören, um zu wissen, dass es gesagt wird. Als er amMontag in der Sonntagsausgabe der Chicago Tribune den Bericht über die Tragödie liest, scheinen in jeder Zeile die ungeschriebenen Worte ›göttliche Vergeltung‹ mitzuschwingen.
    In einem Anfall von Wut setzt er einen Brief an die Weekly Home News auf. Die Spitze seines Füllers ritzt beim Schreiben beinahe das Papier.
    An meine Nachbarn:
    Allen, die uns mit vereinten Kräften so tapfer und tüchtig beigestanden haben – allen, die uns ohne Unterschied freundlich begegnet sind –, möchte ich etwas sagen, um eine tapfere und gute Frau gegen den Pesthauch jener Geschichten in Schutz zu nehmen, die von der Presse für den Mann auf der Straße ausgedacht werden, selbst jetzt noch, wo einige treue Kameraden tot neben ihr liegen, von denen jeder einzelne sein Leben gegeben hätte, um sie zu beschützen. Es ist mir schier unerträglich, Dinge ungesagt zu lassen, die ihr Andenken in der Erinnerung aller aufhellen könnten. Doch sie müssen ungesagt bleiben. Ich bin all jenen dankbar, die ihr freundlich und höflich begegnet sind, und das heißt, vielen. Nirgendwo hätte man sich in einer Gemeinde angesichts ihrer schwierigen Lebensumstände großzügiger verhalten können. Ich glaube, dass ihr, solange sie sich in Ihrer Mitte bewegte, niemals etwas anderes als Höflichkeit und Sympathie entgegengebracht wurden. Das geschah aufgrund ihrer angeborenen Würde und Freundlichkeit, doch in einer anderen – vielleicht sogar in jeder anderen – Gemeinde hätte man sie vielleicht mit den Augen der Presse gesehen, die selbst jetzt noch darauf aus ist, ihren Tod in erster Linie mit der Tatsache in Verbindung zu bringen, dass sie die Frau eines Anderen war, »eine Frau, die ihre Kinder im Stich ließ«.
    Dies darf in dieser von Menschen gemachten Welt nicht vergessen werden. Eine Frau ist immer noch ein »Besitz«. Und selbstdie wohlbekannte Tatsache, dass eine andere den Namen und den Titel trägt, die sie einst innehatte, ist ohne Bedeutung. Die Raubvögel wurden im Tod genauso auf sie gehetzt wie im Leben… Doch diese vornehme Frau besaß eine Seele, die nur ihr allein gehörte – eine Seele, die das Frausein höher schätzte als das Dasein einer Ehefrau oder die Mutterschaft. Eine Frau mit einer Fähigkeit, zu lieben und zu leben, die erfahrbar wurde durch… einen feineren Mut, ein höheres, schwierigeres Ideal von der weißen Flamme der Keuschheit als das, was als »moralisch« oder opportun gilt und für das sie gezwungen war, alles zu opfern, was der Gesellschaft heilig ist – zumindest dem Namen nach…
    In unserem gemeinsamen Leben hat es keine Geheimniskrämerei gegeben außer der, andere vor den vergiftenden Geschichten des Zeitungsskandals in Schutz zu nehmen; nie haben
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