Kein Blick zurueck
Sorte Pech, wie das Leben sie zufällig zuteilt. Mamah stand einem Wahnsinnigen im Weg. Eine bessere Erklärung gab es nicht.
In den kommenden Wochen liest Frank, dass Julian Carlton, zu schwach für eine Verhandlung, im Gefängnis starb und nichts von seinen Motiven preisgab außer seinem Zorn auf Emil. Er ist verhungert, entweder als Folge der Säure oder aus dem Willen zu sterben. Gertrude wird für unschuldig befunden und freigelassen. Für die Menschen in Iowa County, deren Leben an jenem Augusttag für ein paar Stunden im Bann des Schreckens stand, schwindet die Angst. Doch für Frank dauert das Entsetzen an.
Er lässt niemanden, der ihm nahesteht, an sich heran. Anna Wright hat ihn wieder und wieder besucht, dennoch kann er weder ihre Freundlichkeit noch die Jennies oder die seiner Kinder ertragen. Er schickt seine Mutter fort, wo immer sie auftaucht, so gezeichnet sie auch wirken mag. Sie ist dazu übergegangen, ihm dicht hinter der Tür einen Teller mit Essen auf den Fußboden zu stellen. Wenn er jetzt überhaupt mit jemandem spricht, dann mit den Arbeitern, die gekommen sind, um die Brandstelle zu räumen. Die Arbeit verschafftihm die einzige Erleichterung von seinem quälenden Kummer.
Es besteht keine Hoffnung, Kontakt zu Mamahs Geist aufzunehmen. Er kann sich höchstens fragen, Was würde sie wollen, dass ich tue? Er braucht Mamahs Stimme in seinem Kopf nicht zu hören. Er hat keine Zweifel, wie ihre Antwort ausfallen würde.
Als es eines Morgens an die Tür klopft, erwartet er, das Gesicht seiner Mutter vor sich zu sehen. Zu seiner Überraschung ist es Billy Weston. Der Zimmermann steht mit gespreizten Beinen da wie ein Baum, den Kopf und einen Arm mit Bandagen umwickelt. Frank hat ihn seit der Beerdigung seines Sohnes Ernest nicht mehr gesehen.
»Kommen Sie herein«, sagt Frank.
Billy tritt ins Studio. Er sieht sich in dem Raum um, der vollgestopft ist mit sonderbaren Dingen, die aus dem Feuer gerettet wurden. Sein Blick bleibt an dem böse zugerichteten Flügel hängen, ehe er etwas sagt. »Ich habe gehört, Sie denken an einen Neubau.«
»Sie haben richtig gehört.« Frank zeigt dem Zimmermann den Plan für die Raumaufteilung, der auf dem Zeichentisch liegt. Er muss Billy Weston nichts erklären. Als er auf der Zeichnung die Stelle bezeichnet, wo die neue Loggia hinkommen soll, muss er nicht sagen, An dieser Stelle ist das Allerschlimmste passiert. Er muss nicht erklären, dass er die Dinge verändert hat, damit er nicht an die Morde erinnert wird. Eines Tages wird er auf dieser Loggia stehen und imstande sein, den Blick in die Ferne zu richten, bis zu dem Friedhof mit der Familiengruft der Lloyd Jones. Billy weiß das.
»Sind Sie bereit, ein neues Taliesin zu bauen?«, fragt Frank. Billy strafft den Rücken und hebt das Kinn. »Ein Mann muss arbeiten.«
»Und was ist mit Ihrem Arm?«
»Das geht vorüber.«
»Könnten Sie jeden Tag hierherkommen, nach alldem, was passiert ist?«
Billy gibt keine Antwort. Seine blauen Augen füllen sich mit Tränen. Er wendet den Blick ab und hebt eine Keramikscherbe auf. »Wollen Sie das Zeug zusammenkleben, oder was?«
»Ich werde es in das neue Haus einbauen. Es vielleicht in den Beton für das Fundament mischen.«
»Das könnten wir tun«, sagt Billy. Er erwidert verstehend Franks Blick. »Das könnten wir tun.«
Frank rollt den Plan zusammen. Draußen breitet er ihn wieder aus und hält ihn fest, damit Billy ihn sich ansehen kann. Der Zimmermann studiert ihn genau, dann geht er neben Frank her, als sie gemeinsam den Grundriss abschreiten.
Quellen
Etliche Bücher waren im Verlauf meiner Recherchen über Frank Lloyd Wright und Mamah Borthwick Cheney für mich von unschätzbarem Wert. Dazu zählen Anthony Alofsin: Frank Lloyd Wright – Lost Years 1910-1922 , Meryl Secrest: Frank Lloyd Wright und Brendan Gill: Many Masks – bei den beiden Letztgenannten handelt es sich um Biografien –, außerdem Wrights Autobiography und John Lloyd Wright: My Father, Frank Lloyd Wright .
Niemand hat fesselnder über Architektur geschrieben als Frank Lloyd Wright. Seine Aufsätze, zusammengefasst in dem Band Frank Lloyd Wright: Collected Writings ( herausgegeben von Bruce Brooks Pfeiffer), werfen ein Licht auf sein Werk. Weitere Quellen waren: »Taliesin, 1911-1914« in: Wright Studies , Bd. 1 (herausgegeben von Narciso Menocal); Paul Kruty: Frank Lloyd Wright and Midway Gardens; Charles E. Aguar und Berdeana Aguar: Wrightscapes; Frances Nemtin: Frank Lloyd Wright
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