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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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einer Frauengestalt, die von einem Schiff herabwinkte.
    Sie betrachtete prüfend Lizzies Handschrift auf dem anderen Umschlag. Noch mehr bittere Medizin. Sie ließ den Brief ungeöffnet liegen und betrachtete stattdessen die Person, die ihr gegenübersaß. Die bohemienhaft wirkende Frau betastete beim Lesen die Perlen ihrer Halskette. Einen bestiefelten Fuß hatte sie vor sich auf die Querstrebe eines Stuhls gestellt.
    Mamah nippte an ihrem Tee und öffnete Lizzies Brief.
    Mamah,
    aus vielen Gründen schreibe ich Dir schweren Herzens, ganz besonders jedoch wegen der schrecklichen Nachricht, die ich Dir übermitteln muss. Mattie ist gestorben. Gestern kam ein Brief von Alden mit dieser Nachricht. Ihr Herz muss kurz nach Deiner Abreise seinen Dienst aufgegeben haben. Als Edwin in Boulder ankam, hatte man bereits ihren Bruder aus Iowa gerufen…
    Nein, dachte sie. Das ist ein böser Scherz.
    Sie stellte sich Lizzie und Edwin vor, die am Esstisch einander gegenübersaßen und bis spät in die Nacht hinein diskutierten. Irgendeinen verdrehten Plan ausheckten – Briefe, um sie zur Heimkehr zu bewegen. Zweifellos von Verzweiflung oder Liebe geschürt, doch dies… Und jetzt Edwin, irgendwo hier in Berlin.
    Ihr Kopf begann unkontrolliert zu zittern. Mattie war kerngesund gewesen.
    Aus Lizzies Briefumschlag ragte der Rand eines Zeitungsausschnitts hervor. Sie zog ihn heraus und las das mit Bleistift notierte Datum am oberen Rand. 15. Oktober. Mamahs Augen überflogen den Text und registrierten einzelne Sätze.
    MRS. ALDEN H. BROWN
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    Mit dem gestrigen Tod von Mrs. Alden H. Brown verliert Boulder eine seiner hervorragendsten, dem Gemeinwohl verpflichteten Persönlichkeiten … Wohnhaft in Boulder seit dem Frühjahr 1902 … Ihr außergewöhnlicher Charakter und ihre bemerkenswerte geistige Regsamkeit … hingebungsvollste Ehefrau und Mutter … Sie war bei weitem zu großherzig, um jemals einen niedrigen oder egoistischen Gedanken zu hegen … Universität Michigan … Lehrerin an den Highschools von Port Huron … ein Schock für die ganze Gemeinde, ihre offenbar vorzügliche Gesundheit gab keinerlei Hinweis auf dieses plötzliche Ende eines reichen Lebens … Herzkrankheit mit Beteiligung der Lunge … Gedenkgottesdienst in Mapleton 404 … Beisetzung in Vinton, Iowa.
    Ein Stöhnen entstieg Mamahs Kehle. Sie schlug die Hände vors Gesicht. Die Frau mit dem Buch stand auf und kam auf sie zu.
    »Kann ich Ihnen helfen?« Das Gesicht der Frau war dicht vor ihr.
    »Nein, niemand kann mir helfen«, stotterte Mamah weinend. »Meine Freundin ist tot.«
Kapitel 19
    Frank saß im Schneidersitz in ihrem Hotelzimmer auf dem Fußboden und machte sich auf kleinen, weißen Kärtchen Notizen. Vor ihm ausgebreitet lagen in zwei Reihen jeweils vier Zeichnungen, die er soeben von Marion Mahony erhaltenhatte. Er blickte auf, als er bemerkte, dass sie neben ihm stand.
    »Gehst du aus?«
    »Ja, ein wenig.«
    »Gut«, sagte er und stand auf. »Gut.«
    »Soll ich dir etwas mitbringen?«
    »Nein. Ich bringe diese hier später zu Wasmuth. Ich esse unterwegs irgendwo einen Happen.« Er stand vor ihr und umarmte den Wollmantel, der sie umhüllte. »Wie geht es uns heute?«
    »Wir setzen einen Fuß vor den anderen.« Sie schaffte ein mattes Lächeln.
    Er legte den Daumen zwischen ihre Augenbrauen und strich sanft über die Furchen, die sich dazwischen eingegraben hatten. »Ich wünschte, du würdest darüber sprechen.«
    Sie zuckte traurig die Schultern.
    Er nahm ihr den braunen Schal von den Schultern und schlang ihn um ihren Hals. »Es ist kalt da draußen.«
    Sie ging über den Pariser Platz in Richtung Unter den Linden. Unter den Lindenbäumen. Der Straßenname kam Mamah vor wie ein böser Scherz, als sie in dem schräg herabprasselnden, eiskalten Regen an den kahlen Bäumen der Prachtstraße vorbei Richtung Osten schritt. Sie hastete am Aquarium vorbei und wandte ihr verquollenes Gesicht ab, als ihr Blick vor dem Grand Hotel Rom dem einer hochmütigen Frau mit Schirm begegnete. Als Mamah die kupferne Kuppel der St. Hedwigskirche erblickte, empfand sie innerlich so etwas wie Erleichterung. In der Kirche ließen alte Frauen mit schweren schwarzen Schals ihre Rosenkränze durch die Finger gleiten. In der Beinahe-Dunkelheit fand Mamah den Geruch, auf den sie gehofft hatte, der Duft von Wachskerzen, die in Votivschälchen zu Nichts verbrannten.
    Seit drei Tagen, seit die Frau in dem Café sie in ein Taxi gesetzt hatte, wollte Mamah nun mit Mattie

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