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Kein Blick zurueck

Kein Blick zurueck

Titel: Kein Blick zurueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Horan
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Vornamen, als er ihn aus ihrem Ausweis vorlas.
    »May-mah. Er ist schwierig, in welcher Sprache auch immer«, sagte sie.
    Er blickte nicht auf. »May-mah Borthwick Cheney. Oak Park, Illinois. U . S . A .«
    »Ja.«
    »Voller Name des Vaters?«
    »Marcus S. Borthwick.«
    »Beruf?«
    »Meinen Sie meinen Beruf?«
    Der Mann blickte durch verschmierte Brillengläser zu ihr auf. »Nein, seinen.«
    »Eisenbahnmechaniker.«
    »Geburtsort?«
    »New York.«
    Der Wachtmeister richtete sich auf seinem Stuhl auf und ließ die Schultern kreisen, dann sank er wieder in sich zusammen und zog an seiner Zigarette. »Sind Sie verheiratet?« Sie schluckte. »Ja.«
    »Voller Name des Ehemanns?«
    »Edwin H. Cheney.«
    »Beruf?«
    »Direktor einer Elektrizitätsfirma.«
    »Geburtsort?«
    »Meiner?«
    »Seiner.«
    Mamah spürte, wie ihre Ohren heiß wurden. »Illinois.«
    Die Augenbrauen des Mannes wölbten sich über die Brille. »Ist er mit Ihnen zusammen hier?«
    »Nein.«
    »Religion?«
    »Wozu müssen Sie das wissen?«
    Der Mann blickte stirnrunzelnd auf. »So lautet das Gesetz, meine Dame.«
    »Protestantisch.«
    »Wie oft in Deutschland?«
    »Dreimal.«
    »Absicht Ihres Besuchs?«
    »Das Übersetzen von Sexhandbüchern«, murmelte sie auf Englisch. »Hausfrauen in den Aufstand zu treiben.«
    »Hm?«
    »Um zu studieren.«
    »Wie lange wollen Sie bleiben?«
    »Drei oder vier Monate.«
    Er reichte ihr ihren Ausweis. »Es steht Ihnen frei zu gehen.« O Frank, wo bist du, wenn ich dich brauche? Sie hätte ihn zum Lachen gebracht, wenn sie ihm von dem aufgeblasenen Wachtmeister erzählt hätte. Doch es gab niemanden, mit dem sie sich richtig hätte unterhalten können. Frank war jetzt seit einem Monat wieder in Oak Park und hatte seine eigenen Kämpfe auszufechten, die weit schlimmer waren als ihre. Sein einziger Brief war kurz und vernichtend gewesen. Jetzt ist es offiziell, meine Liebe. Keine Menschenseele steht auf meiner Seite. Freunde überqueren lieber die Straße, als mit mir zu sprechen.
    Auf der Treppe zur Polizeiwache spürte Mamah, wie ihre Begeisterung für ihre Liste von Besorgungen verebbte. Das alles konnte warten. Sie brachte die Briefe an Frank und Lizzie zur Post und machte sich auf den Rückweg in die Pension.
    Dass sie die Pension Gottschalk gefunden hatte, hatte sie Ellen zu verdanken, die mit der Wirtin bekannt war. Frau Böhm war eine gut betuchte Witwe, die großzügig für die Frauenbewegung spendete. Sie hatte ein großes Herz und einen großen Kopf, trug das Haar über den Ohren zu großen Schnecken aufgerollt und gehörte zu der Sorte Frauen, die kein Blatt vor den Mund nahmen; hätten sich ihre Wege in Oak Park gekreuzt, hätte sie eine interessante Freundin werden können. Doch hier in Berlin gab es einen Standesunterschied zwischen einer Pensionswirtin und ihrer Mieterin, auch weil Mamah sich entschieden hatte, ein Zimmer im obersten Stock zu mieten, das billigste Zimmer im ganzen Haus.
    Sie hatte den Verdacht, dass sie zu den Protegés der Wirtin gehörte und dass die Frau der Vorstellung anhing, sie biete ihr einen »Zufluchtsort«. Obwohl Mamah keine Anstaltenmachte, Einzelheiten aus ihrem Leben zu erzählen, nahm sie an, dass ihre persönliche Geschichte Frau Böhm durch Ellen Key bekannt war.
    Beim Abendessen präsidierte die Pensionswirtin, in wenig gelungene Kopien französischer Roben gewandet, am Kopfende des Tisches, und ihr mächtiger Schädel schwebte über ihren Schultern wie ein Zeppelin. Von Zeit zu Zeit hielt sie mitten in einem Bissen inne, um ihren drei Mieterinnen Diskussionsthemen vorzuschlagen. Hatte jede unverheiratete Frau das Recht auf Mutterschaft? Sollte es Mädchen gestattet werden, in den Gymnasien nackt zu turnen? Mamah ließ diese Abendmahlzeiten schweigend über sich ergehen. Sie hatte kaum Geld, sich zusätzlich zu der im Zimmerpreis inbegriffenen Kost noch etwas zu essen zu kaufen.
    Mit Ausnahme der erzwungenen Intimität in der Pension fühlte Mamah sich in Berlin unsichtbar. Sie war für diese Anonymität dankbar. Weder der Schwedischprofessor an der Universität noch die Direktorin des Mädchenseminars, wo sie unterrichtete, kannten ihre vollständige Geschichte. Als sie sich um die Stelle als Lehrerin beworben hatte, hatte sie sich als unverheiratete amerikanische Akademikerin ausgegeben. Dass sie Ausländerin war, war bei weitem weniger problematisch als die Tatsache, dass sie verheiratet war und von ihrem Ehemann getrennt lebte.
    Als Frank sie im September in Berlin

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