Kein Entkommen
wartete.
»Ich habe letzte Woche eine E-Mail erhalten, in der mir eine Informantin angeboten hat, die Namen der Stadträte zu nennen, die von Star Spangled Corrections geschmiert werden. Hast du diese E-Mail an Elmont Sebastian weitergeleitet?«
Madeline musterte mich mit starrem Blick. »Nein«, sagte sie dann. »Und falls du deine Arbeit hier wieder aufnehmen solltest und genügend Beweise hast, werde ich persönlich dafür sorgen, dass deine Story auf der Titelseite erscheint. Ich hasse diesen Kerl. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, wenn ich bloß an ihn denke. Und ich werde mit Sicherheit keine Geschäfte mit ihm machen.«
***
Als ich Natalie Bondurants Büro betrat, kam sie hinter ihrem Schreibtisch hervor. Ich erwartete, dass sie mir die Hand schütteln würde, doch stattdessen griff sie nach einer Fernbedienung und schaltete einen Fernseher an der Wand an.
»Einen Moment«, sagte sie. »Ich hab’s extra aufgenommen. Okay, bitte sehr.«
Sie drückte auf einen anderen Knopf, und Sekunden später war ich auf dem Bildschirm zu sehen, wie ich inmitten der Reportermeute stand und zum Besten gab, dass ich einen Lügendetektortest nicht für notwendig hielt.
Sie drückte die Pausetaste, warf die Fernbedienung in einen Sessel und wandte sich zu mir.
»Du lieber Gott«, sagte sie. »Sind Sie wirklich so scharf drauf, in den Knast zu gehen? Oder haben Sie eine andere Erklärung für das da?«
36
Jan wusste nicht recht, ob sie in die Rolle einer Mörderin schlüpfen konnte. Dazu musste man es echt draufhaben. Bislang hatte sie sich in ihre Rollen eingefühlt, war langsam mit ihnen verschmolzen.
Sollte sich eine Gelegenheit ergeben, mit Dwaynes Hälfte der Beute abzuhauen – klar, sie würde sie beim Schopf ergreifen. David würde sie nicht finden, und dieselbe Nummer konnte sie auch mit Dwayne abziehen. Aber würde sie es über sich bringen, ihn zu töten?
Ihm eine Kugel in den Kopf zu schießen oder ein Messer ins Herz zu rammen?
Sie hatte noch nie jemanden getötet, jedenfalls nicht absichtlich.
Aber sie war nicht naiv. Ihr war bewusst, dass die Polizei sie ohnehin als Mörderin betrachten würde. Auch wenn sie nicht diejenige gewesen war, die Leanne Kowalski so lange Mund und Nase zugehalten hatte, bis sie aufgehört hatte, zu strampeln und um sich zu schlagen. Andererseits hatte sie auch nichts getan, um Dwayne aufzuhalten. Sie hatte einfach zugesehen, wohl wissend, dass es nicht anders ging. Außerdem war es ihre Idee gewesen, die Leiche in der Nähe des Lake George zu verscharren, und zwar so, dass das Grab unweigerlich entdeckt werden musste; einfach, um dafür zu sorgen, dass sich die Schlinge um Davids Hals noch enger zusammenzog. Und damit hatte sie sich der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht. Jedes Gericht der Welt würde so entscheiden.
Und dass Oscar Fine seinerzeit nicht verblutet war, hatte sie nur ihrem Glück zu verdanken – oder göttlicher Fügung, sofern man an so etwas glaubte. Sie war es gewesen, die ihm die Hand abgetrennt hatte, um an den Stahlkoffer zu kommen, der an sein Handgelenk gekettet gewesen war.
Ein leiser Schauder überlief sie, als sie an jenen Moment zurückdachte. Sie hatten geglaubt, er hätte einen Schlüssel dabei. Oder die Kombination für das Schloss. Und dann hatte sich auch noch herausgestellt, dass die Kette, die seine Handschelle mit dem Koffer verband, aus irgendeinem besonders harten Stahl bestand, den sie ums Verrecken nicht knacken konnten. Irgendwann war ihr Blick auf sein Handgelenk gefallen.
Der Dreckskerl hatte ihnen keine andere Wahl gelassen.
Und nachdem er das Bewusstsein verloren hatte – die Spritze mit dem Beruhigungsmittel hatte ihn regelrecht ausgeknockt –, war sie ans Werk gegangen. Hätte sie jemand vierundzwanzig Stunden zuvor gefragt, ob sie es über sich bringen würde, einem Mann das Handgelenk durchzusägen, wäre die Antwort für sie klar gewesen: Nein. Niemals. In tausend Jahren nicht. Doch in jenem Moment – in einer Limousine auf einem verlassenen Bostoner Parkplatz, immer in der Ungewissheit, ob nicht vielleicht jemand auftauchen würde – war sie plötzlich zu Dingen fähig gewesen, die ihr nicht mal in schlimmsten Alpträumen eingefallen wären. Keine Frage, die Diamanten waren ein großer Anreiz gewesen.
Und ging es letztlich nicht genau darum? Um die Motivation? Und so war sie einmal mehr in eine neue Rolle geschlüpft – in die einer Frau, die kein Problem damit hatte, einem Mann das Handgelenk
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