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Kein Entkommen

Kein Entkommen

Titel: Kein Entkommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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seiner Brieftasche oder so.
    Was?, keifte sie. Hältst du ihn für so blöd, dass er sich die Zahlen aufschreibt?
    Dann knack die Kette, gab der Fahrer zurück. Den Koffer nehmen wir erst mal so mit.
    Die Kette ist aus Edelstahl, fuhr sie ihn an. Das dauert bestimmt eine Stunde, bis ich sie durchgesägt habe.
    Der Fahrer: Kannst du ihm das Ding nicht übers Handgelenk ziehen?
    Die Frau: Wie oft soll ich es dir noch sagen? Ich muss es durchsägen.
    Der Fahrer: Hast du nicht eben gesagt, das dauert ewig?
    Die Frau: Ich hab nicht die Kette gemeint.
    Mit aller Macht versuchte Oscar Fine, seine Finger zu bewegen. Er musste nicht lange überlegen, um zu wissen, was die Rothaarige vorhatte.
    Gleichzeitig durchzuckte ihn eine jähe Erkenntnis: Diese Frau war eiskalt.
    Verzweifelt versuchte er, das Wort »Warte!« über die Lippen zu bringen. Er musste sie irgendwie hinhalten, bis die Wirkung des Betäubungsmittels einigermaßen abgeklungen war.
    Er musste verhindern, dass sie seine Linke amputierte.
    Und dann bekam er das Wort heraus. Nur, dass ein völlig unverständliches Stöhnen über seine Lippen drang.
    »Was?«, sagte die Rothaarige.
    Er versuchte es abermals, doch wieder entrang sich seiner Kehle nur ein hilfloses Röcheln.
    Sie schüttelte den Kopf und blickte ihm starr in die Augen. Urplötzlich wirkte ihr Gesicht, als hätte es sich in eine Maske verwandelt. Er wusste, dass er dieses Gesicht niemals vergessen würde. Vorausgesetzt, dass er das hier überlebte.
    Dann setzte sie die Säge an.
    ***
    Unter normalen Umständen hätte Oscar Fine wahrscheinlich das Bewusstsein verloren, doch das Erlebnis war so grauenhaft, so traumatisch, dass stattdessen die Wirkung des Betäubungsmittels verflog.
    Als sich die Rothaarige und der Fahrer mit dem Koffer aus dem Staub gemacht hatten, gelang es ihm, seine Krawatte abzunehmen und den blutigen Stumpf an seiner Linken abzubinden. Plötzlich erinnerte er sich an eine Reportage, die er vor nicht allzu langer Zeit im Fernsehen gesehen hatte, über einen jungen Kerl, der sich die rechte Hand bei einer Klettertour in einem Canyon unter einem schweren Felsbrocken eingeklemmt hatte. Tagelang hatte er ausgeharrt und auf Rettung gehofft, doch als niemand kam, hatte er keinen anderen Ausweg mehr gesehen und sich die Hand mit einem Taschenmesser abgetrennt.
    Der Junge hat auch überleb t, dachte Oscar Fine. Und er musste sich nicht mal die Hand abschneiden. Das hatte die Rothaarige ja bereits erledigt. Er musste nur noch die Blutung stillen.
    Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte zog er die Krawatte so fest, wie er nur konnte.
    Nicht fest genug. Das Blut strömte weiter.
    Er würde sterben.
    Mit seinem Handy hätte er Hilfe rufen können. Doch die Rothaarige hatte es mitgenommen. Und ihm fehlte die Kraft, die Tür der Limousine zu öffnen, auf die Beine zu kommen und ein Auto anzuhalten.
    Das war’s. Schluss, aus.
    »Kommen Sie bitte aus dem Wagen!«
    Was?
    Jemand klopfte ans Fenster. »Hallo? Polizei! Sie können hier nicht parken. Haben Sie mich gehört? Zum letzten Mal, öffnen Sie die Tür!«
    ***
    Er konnte den Cops kaum weiterhelfen.
    Er habe ihre Gesichter nicht gesehen, sagte er.
    Den Koffer erwähnte er nicht.
    Er sagte, er habe keine Ahnung, warum sie ihm die Hand abgesägt hatten.
    Wahrscheinlich eine Verwechslung. Wer sollte einen Grund haben, ihm so etwas anzutun? Ja, es war bestimmt ein Irrtum gewesen.
    Natürlich glaubten ihm die Cops kein Wort.
    Was Oscar Fine ohnehin klar war. Drauf geschissen.
    ***
    Der Witz an der ganzen Sache war, dass der andere Kurier, der die echten Diamanten transportierte, ebenfalls überfallen wurde. Mit dem Unterschied, dass er die Sache nicht vermasselte. Bevor er den Dreckskerl erschoss, bekam er heraus, dass er den Tipp von einem Mitglied ihrer Organisation erhalten hatte.
    Der Überfall auf Oscar Fine war von einer ganz anderen Seite erfolgt.
    Die Bosse versicherten, dass sie ihn nicht im Stich lassen würden.
    Sie kamen für die medizinischen Kosten auf, auch wenn er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Schließlich war er selbst schuld an seiner Misere. Sie aber bestanden darauf, ihm zu helfen. Es dauerte mehrere Monate, bis er sich wieder erholt hatte. Seine Hand war allerdings nicht zu retten gewesen; die Ärzte hatten sie nicht wieder annähen können.
    Die Schmerzen hatte er ertragen können.
    Nicht aber die Scham.
    Er hatte versagt. Sie hatten ihn kalt erwischt. Und jetzt musste er auch noch die Almosen anderer

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