Kein Entkommen
wahrscheinlich rund um die Uhr geöffnet. Für Lastwagenfahrer und alle anderen, die spätnachts einen Happen essen wollten. Sie stellte sich vor, wie angenehm leer es dort jetzt war. Hier im Zimmer gab es nichts außer einer kleinen Tüte Chips und einen angebissenen Marsriegel. Sie hatten zwar unterwegs ein paar belegte Brötchen an einer Tankstelle gekauft, sie aber kaum angerührt.
Doch obwohl sie einen Bärenhunger hatte, beschloss sie, das Motelzimmer vorerst lieber nicht zu verlassen. Besser, sie hielt sich bedeckt. Eine Frau, die allein unterwegs war, konnte schnell ungewollte Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Bevor sie die Badezimmertür wieder öffnete, knipste sie das Licht aus. Nun mussten sich ihre Augen erst wieder an das Dunkel gewöhnen; nicht, dass sie noch über irgendetwas stolperte.
Als sie aus dem Fenster sah, erwartete sie halb, den blauen Explorer auf dem Parkplatz zu sehen. Doch die Rostlaube stand mutterseelenallein irgendwo in der Pampa, weit, weit weg. Natürlich würde die Polizei den Wagen irgendwann aufstöbern; was daraus resultieren würde, ließ sich schwer sagen. Inzwischen hatte Lyall wahrscheinlich die Cops alarmiert. Was für ein Loser, ständig besoffen und mit seinen Kumpels unterwegs, und im Haushalt half er auch nie mit. Oh, und der verdammte Köter. Der Explorer hatte durchdringend nach Hund gestunken. Aber zumindest wurde Lyall nicht gewalttätig, wenn er getrunken hatte. Manchmal trat zwar so ein Blick in seine Augen, als hätte er es endgültig satt, sich gängeln zu lassen, aber lange hielt sein Zorn nie an. Am Ende zog er immer den Schwanz ein. Er hatte es einfach nicht in sich.
Jemand regte sich auf dem Bett, in dem sie gerade noch selbst gelegen hatte.
Sie wandte sich vom Fenster ab. Im Grunde blieb ihr nichts anderes übrig, als wieder ins Bett zu gehen. Vielleicht würde sie ja doch schlafen können, wenn das Aspirin zu wirken begann. Sie warf einen Blick auf die Uhr: Es war 00:21 Uhr.
Es gab keine Veranlassung, früh aufzustehen. Alles war erledigt. Und Frühstück brauchte sie auch niemandem mehr zu machen.
Sie ließ sich vorsichtig auf der Bettkante nieder, hob langsam die Beine, schlüpfte unter die Decke und ließ den Kopf aufs Kissen sinken. Das war das Gute an Motelbetten. Die Matratzen lagen nicht auf Sprungfedern, sondern auf betonhartem Untergrund, und so konnte man aufstehen oder sich wieder ins Bett legen, ohne seinen Partner im Schlaf zu stören.
Irrtum.
Der Mann auf der anderen Seite des Betts drehte sich zu ihr. »Was ist los, Babe?«
»Shhh«, machte sie. »Schlaf wieder.«
»Was gibt’s denn?«
»Ich habe bloß zwei Aspirin genommen. Gegen meine Kopfschmerzen.«
»Schon besser?«
»Noch nicht.«
Er streckte die Hand aus, ließ sie über ihre Brust gleiten und drehte ihren Nippel zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
»Verdammt, Dwayne. Ich habe Kopfschmerzen, und dir fällt nichts Besseres ein, als an meinen Titten herumzufummeln?«
Er zog die Hand zurück. »Du bist bloß gestresst. Wird ein Weilchen dauern, bis du über die Sache mit Jan hinweg bist.«
»Wieso?«, gab die Frau zurück. »Tot ist tot, oder?«
18
»Also, jetzt wissen Sie’s!«, schnauzte mich Horace Richler an. »Und jetzt verschwinden Sie endlich, verdammt!«
»Ich … Ich verstehe das alles nicht«, sagte ich. Die Richlers starrten mich argwöhnisch an.
»Ihr Problem«, sagte er und wollte mir die Tür vor der Nase zuschlagen.
»Warten Sie!«, stammelte ich. »Bitte! Das ergibt doch alles keinen Sinn.«
»Was soll das?«, gab Richler zurück. »Sie wecken uns mitten in der Nacht und fragen nach unserer toten Tochter. Finden Sie das witzig, oder was?«
Er wollte die Tür gerade endgültig schließen, als Gretchen sagte: »Horace.«
»Was?«
»Warte.« Die Tür blieb einen Spaltbreit geöffnet. »Wie heißen Sie noch mal?«, fragte Gretchen.
»David Harwood«, sagte ich. »Ich komme aus Promise Falls.«
»Und Ihre Frau heißt Jan?«
»Verdammt noch mal, Gretchen«, unterbrach Richler sie. »Das ist ein Verrückter. Jetzt ermutige ihn nicht auch noch!«
»Ja.« Ich sah Gretchen an. »Jan, kurz für Janice. Jetzt heißt sie Jan Harwood, aber ihr Mädchenname war Jan Richler.«
»Jan Richlers gibt es wie Sand am Meer«, sagte Gretchen. »Sie haben sich bestimmt nur in der Adresse geirrt.«
Ich betete, dass sie mir nicht die Tür vor der Nase zuschlagen würden. »Warum steht dann in ihrer Geburtsurkunde, dass ihre Eltern Horace und Gretchen
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