Kein Entkommen

der Kurier entgegen aller Wahrscheinlichkeit überlebt hatte. Sobald er wiederhergestellt war, würde er alles daransetzen, die Person zu finden, wegen der er nicht nur ein Vermögen in Diamanten, sondern auch seine linke Hand verloren hatte.
    Ihr war von Anfang an klar gewesen, dass für sie ein weit höheres Risiko als für Dwayne bestand. Der Kurier hatte ihr Gesicht gesehen. Er hatte ihr direkt in die Augen gestarrt, bevor er ohnmächtig geworden war. Sie hatte nicht geglaubt, dass er je wieder aufwachen würde.
    Das Blut.
    Außerdem war klar gewesen, dass der Kurier nicht lange brauchen würde, um herauszukriegen, wie sie auf ihn gekommen waren.
    Durch seine Freundin, genauer gesagt seine Ex-Freundin. Alanna. Sie hatte mit ihr in einer Bar am Stadtrand von Boston gearbeitet. Spätschicht, und in der Pause hatten sie öfter mal zusammen eine Zigarette geraucht. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte ihr Alanna von ihrem Ex erzählt, der sich als das letzte Superarschloch entpuppt hatte. Immer auf Reisen nach Afrika oder sonst wo hin, über seinen Job hätte er sich ausgeschwiegen, und zu ihm nach Hause hätte sie auch nie kommen dürfen. Eines Tages, sie sind gerade in seinem Audi unterwegs, hält er kurz an, um sich mit jemandem zu treffen. Er verspricht, er wäre in zehn Minuten wieder zurück, und als er hinter den Glastüren eines Bürogebäudes verschwindet, beschließt sie, einen Blick in seine Sporttasche zu werfen, die hinter dem Fahrersitz klemmt – seltsam, bis dahin hat er nie erwähnt, dass er ins Fitnessstudio geht. Noch seltsamer, dass die Sporttasche nicht stinkt, schließlich stinken Sporttaschen von Typen doch immer, oder? Sie öffnet die Tasche, findet darin aber weder Laufschuhe noch Schweißbänder, sondern eine Reihe kleiner, mit Samt ausgeschlagener Kästchen. Als sie das erste aufmacht, sieht sie, dass sich darin ein halbes Dutzend Diamanten befindet. Heilige Scheiße, schießt es ihr durch den Kopf, sind die Dinger echt? Und während sie noch entgeistert auf die Klunker starrt, ist er schon wieder da, früher als erwartet, und kriegt einen tierischen Anfall, macht sie zur Sau, und ab da ist Sense, absolute Funkstille, er ruft sie nicht mal mehr an.
    Und die Frau, die sich nun Kate nannte, hatte gedacht: Diamanten?
    Sie hatte es gleich ihrem Freund Dwayne erzählt, mit dem sie seit einigen Wochen zusammen war. Sie hatten Alannas Ex ausfindig gemacht, ihn beobachtet und sich mit seinem Tagesablauf vertraut gemacht. Und schließlich hatten sie ihn geködert. Als er mit dem Zug aus New York gekommen war, um sich mit ihnen zu treffen, hatten sie ihn mit einer Limousine abgeholt.
    Sie hatte es gleich gewusst. Dass er in null Komma nichts herausbekommen würde, dass Alanna die undichte Stelle war, sobald er wieder einigermaßen klar denken konnte.
    Zwei Monate nach dem Überfall hatte sie auf der Website des Globe gelesen, dass eine junge Frau namens Alanna Dysart tot im Bostoner Hafen aufgefunden worden war. Und in einem Punkt gab es keine allzu großen Zweifel: dass sie ihrem Mörder die Namen aller verraten hatte, denen sie erzählt hatte, womit er seine Brötchen verdiente.
    Höchstwahrscheinlich auch den Namen einer gewissen Connie Tattinger.
    Und deshalb hatte sie es vorgezogen, schnellstmöglich von der Bildfläche zu verschwinden.
    ***
    »Meinst du, du warst schon in den Nachrichten?«, fragte Dwayne.
    Sie war so in Gedanken versunken, dass sie ihn erst wahrnahm, als er die Frage wiederholte.
    »Lass uns das nächste Motel anfahren«, erwiderte sie. »Dann wissen wir mehr.«
    Dwayne lenkte den Pick-up die nächste Ausfahrt hinauf. Kurz darauf hielten sie vor einem Motel mit Computerservice für die wenigen Reisenden, die ohne Laptop unterwegs waren.
    Kate trat zum Computer und erzählte der jungen Frau, die fragte, ob sie ihr helfen könne, sie und ihr Mann wollten gern ein Zimmer nehmen, aber erst müsse sie checken, wie es ihrer kranken Tante ginge. Telefonisch würde sie nicht durchkommen, aber vielleicht hatte ihr ja ein Verwandter eine E-Mail geschickt, um sie auf dem Laufenden zu halten. Sollte sich der Zustand ihrer Tante verschlechtert haben – und nun trug sie richtig dick auf –, würde ihnen nichts anderes übrigbleiben, als umzudrehen und geradewegs nach Maine zurückzufahren.
    Kein Problem, sagte die junge Frau, ehe sie an ihren Schreibtisch zurückkehrte. Bitte sehr. Das wird auch nicht berechnet.
    Zuerst ging sie auf die Website des Standard , dann checkte sie die