Kein Entkommen
Schweigen zu bringen? Vielleicht. Ich arbeitete für die einzige Zeitung der Stadt, und trotz seines Niedergangs hatte der Standard immer noch einigen Einfluss. Und ich war der Einzige dort, der ein kritisches Auge auf das Knastprojekt hatte. Der nicht nur die Frage stellte, ob profitorientierte Gefängnisse wirklich das Gelbe vom Ei waren, sondern auch die Machenschaften von Star Spangled Corrections unter die Lupe nahm.
Und auch wenn ich bestimmt nicht Elmont Sebastians einziges Problem war, konnte es nicht schaden, mich mundtot zu machen.
Aber selbst wenn ich richtig lag und Elmont Sebastian tatsächlich versuchte, mich auszuschalten – wie erklärte sich dann, was ich in Pittsford erfahren hatte? Über Jans Vergangenheit, eine Vergangenheit, die gar nicht ihr gehörte.
»Ich brauche ein Glas Wasser«, sagte ich.
Mom ging vor mir her in die Küche, wo Ethan auf dem Linoleumboden lag und ein Spielzeugauto brummend hin und her fahren ließ. Mom ließ das Wasser aus dem Hahn laufen, bis es kühl war, und schenkte mir ein Glas ein.
Ich nahm einen langen Schluck. »Da ist noch was«, sagte ich.
Meine Eltern sahen mich erwartungsvoll an.
Ich bedeutete ihnen, die Küche zu verlassen, damit Ethan nichts mitbekam.
Eine Stunde später fuhr ich mit dem Wagen meines Vaters los. Inzwischen war ich mir nicht mehr so sicher, ob es wirklich schlau gewesen war, meine Eltern in das einzuweihen, was ich in Pittsford herausbekommen hatte. Dad hatte sich fürchterlich aufgeregt über die unfähigen Sachbearbeiter, die Jan wahrscheinlich die falsche Geburtsurkunde ausgehändigt hatten.
»Jede Wette, dass sie schriftlich eine Kopie ihrer Geburtsurkunde angefordert hat«, sagte er. »Sie haben ihr das Dokument einer anderen Jan Richler geschickt, und sie hat sich die Unterlagen nicht richtig angesehen. Du meine Güte! Beste Gehälter und Jobs auf Lebenszeit, und diese Idioten sind nicht mal in der Lage, die einfachsten Dinge zu erledigen!«
Mom hingegen machte sich sichtlich Sorgen, starrte die meiste Zeit nur stumm aus dem Fenster in den Garten, wo Ethan einen Krocketball nach dem anderen über den Rasen feuerte. »Seine Mutter ist vielleicht eine ganz andere Frau?«, sagte sie irgendwann. »Wie sollen wir ihm das bloß erklären?«
Als ich erwähnte, Jan könnte möglicherweise in einem Zeugenschutzprogramm gewesen sein, hielt mein Vater immerhin mit seiner Tirade gegen träge Beamte inne. Seine Begeisterung für meine Theorie führte im Nu dazu, dass ich selbst nicht mehr recht daran glaubte.
Als ich mich hinters Steuer setzte, lag mir mein Vater immer noch in den Ohren, ich müsse mir einen Anwalt nehmen. Und damit hatte er zweifellos recht, nur dass ich keine Zeit hatte, noch jemandem zu erläutern, was in den letzten achtundvierzig Stunden geschehen war.
»Einen Anwalt? Besorg du mir doch einen in der Zwischenzeit. Aber keinen, der auf Nachbarschaftsstreitigkeiten spezialisiert ist, okay?«, sagte ich zu Dad, um ihn zu beruhigen.
Auf der Fahrt zum Lake George blickte ich ein ums andere Mal in den Rückspiegel. Nicht, weil ich erwartet hätte, noch einmal den dunkelblauen Buick zu sehen, der Jan und mir gefolgt war, sondern weil ich mir ziemlich sicher war, dass Detective Duckworth dafür gesorgt hatte, dass mich jemand im Auge behielt. Wenn er ernsthaft glaubte, dass ich meine Frau umgebracht hatte, würde er mich nicht unbeobachtet lassen.
Doch wenn ich tatsächlich beschattet wurde, machten sie ihre Sache verdammt gut. Auf der gesamten Fahrt fiel mir kein einziger Wagen auf. Kurz nach drei bog ich von der Straße auf den Parkplatz von Ted’s Lakeview General Store ab.
Es war nicht gerade viel los. Niemand tankte, und nur zwei Wagen standen auf dem Parkplatz. Da ich davon ausgehen konnte, dass der eine dem Besitzer gehörte, war außer ihm vielleicht noch ein Kunde im Laden.
Eine Türglocke ertönte, als ich eintrat. Hinter dem Ladentresen erblickte ich einen dünnen Mann Ende sechzig. Im ersten Moment dachte ich, er würde stehen, doch dann bemerkte ich, dass er auf einem hohen Stuhl saß. Er nickte mir zu.
Eine stämmige Frau trat vor mir mit einer Tüte Doritos, einem großen Snickers-Riegel und einer Flasche Diät-Cola an den Tresen. Er kassierte, packte alles in eine kleine Tüte und wünschte ihr einen guten Tag.
Als sie gegangen war, sagte ich: »Sind Sie der Besitzer des Ladens hier?«
»Bin ich«, sagte er. »Ted Brehl. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich bin Reporter beim Standard in Promise
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