Kein Entkommen
»Und die wäre?«
»Nein.«
Er zog eine enttäuschte Miene, die aber irgendwie gespielt wirkte. »In dem Fall gibt es eigentlich nur noch einen Punkt zu besprechen. Ich hatte gehofft, wir könnten uns einigen, aber … tja, ich fürchte, das wird jetzt wohl doch schwieriger, als ich dachte.«
»Wovon reden Sie?«
»Wer ist Ihre Informantin?«
»Entschuldigung?«
»Mit wem wollten Sie sich hier treffen?«
»Mit niemandem«, sagte ich.
Sebastian lächelte, als hätte er mich genau durchschaut. »Ich bitte Sie, David. Ich weiß, dass Sie bereits am Freitag hier oben waren, um sich mit Ihrer Informantin zu treffen. Ich weiß, dass Sie von einer Frau kontaktiert worden sind. Und ich weiß auch, dass selbige Frau Sie versetzt hat. Und jetzt, zwei Tage später, befinden Sie sich wieder am selben Ort – und wollen mir ernstlich weismachen, das wäre nicht der Grund, warum Sie hierhergekommen sind?«
»Da sind Sie verdammt auf dem Holzweg«, sagte ich.
Sebastian seufzte und warf einen Blick aus dem Fenster. »Haben Sie Zeit für eine kleine Geschichte, David?«, sagte er, ohne mich anzusehen.
»Ich war schon immer ein guter Zuhörer«, gab ich zurück.
»Vor ein paar Jahren gab es in unserer Haftanstalt in Atlanta ein paar Probleme – mit einem Insassen, der von allen Buddy genannt wurde.«
Welland blickte in den Rückspiegel.
»Den Spitznamen hatte er bekommen, weil jeder mit ihm befreundet sein wollte. Obwohl er gar kein netter Kerl war. Die anderen wollten es sich bloß nicht mit ihm verderben. Buddy war nämlich Mitglied der Arischen Bruderschaft, einer rechtsextremen weißen Gang, die sich in so ziemlich allen Gefängnissen unseres Landes breitgemacht hat. Haben Sie mal von ihnen gehört?«
Ich musterte ihn wortlos.
»Klar haben Sie das«, sagte Sebastian. Er verlagerte sein Gewicht und warf einen Blick auf seinen Chauffeur. »Welland, Sie sind hier der Experte. Wie würden Sie die Burschen von der Arischen Bruderschaft charakterisieren?«
Welland sah in den Rückspiegel. »Wer sich mit denen einlässt, ist echt gefickt.«
»Besser kann man’s nicht ausdrücken«, sagte Sebastian. »Wollen Sie weitererzählen, Welland? Aus meinem Mund hört sich die Story vielleicht ein bisschen wichtigtuerisch an.«
Welland schwieg einen Augenblick und leckte sich über die Lippen. »Nun ja, Mr Sebastian hatte ein Problem mit Buddy. Wegen seiner Pisse.«
Ich dachte, ich hätte mich verhört. »Wegen was?«, sagte ich.
»Mit Pisse kann man schreiben, das ist wie unsichtbare Tinte. Erst wenn man das Papier gegen das Licht hält, sieht man, was da steht. Jedenfalls fand Mr Sebastian heraus, dass Buddy seinen Kumpels von der Bruderschaft dauernd irgendwelche Botschaften zukommen ließ. Und natürlich konnte er nicht zulassen, dass die Kerle heimlich ihr eigenes Süppchen kochen.«
Sebastian grinste wie ein Honigkuchenpferd.
»Nun ja, schließlich ließ Mr Sebastian ihn in Handschellen in sein Büro bringen, und einer der Wärter zog ihm die Hose runter.« Welland räusperte sich, als wäre ihm dieser Teil der Geschichte unangenehm. »Na ja, Mr Sebastian hat ihm dann fünfzigtausend Volt durch sein Ding gejagt.«
Ich runzelte die Stirn.
»Mit einem Teaser«, erklärte er. »Einer Elektroschockpistole.«
»Sie haben dem Mann Strom in die Genitalien gejagt?«
»Gar nicht so einfach«, sagte Sebastian. »Die Projektile sind ja mit Drähten verbunden, und man hat keine richtige Treffsicherheit. Aber ich habe ihn genau erwischt. Voll auf die Zwölf sozusagen.«
Allmählich drehte sich mir der Magen um.
»Wollen Sie den Rest erzählen, Mr Sebastian?«, fragte Welland.
»Tja«, fuhr Sebastian fort. »Anschließend habe ich Buddy erklärt, dass er sich seine Korrespondenz künftig sparen konnte – mit Blut im Urin lassen sich schlecht Geheimbotschaften verfassen. Ehrlich gesagt war ich mir nicht mal sicher, ob ich ihn nicht bloß zum Viagra-Kandidaten gemacht hatte, aber wie sich schließlich herausstellte, passierte genau das, was ich beabsichtigt hatte.«
Zwei, drei Momente lang herrschte Schweigen, ehe Sebastian fortfuhr. »Ich hätte nie gedacht, dass man ein Mitglied der Arischen Bruderschaft zum Weinen bringen kann.«
»Kein Wunder bei Ihren Methoden«, bemerkte ich.
»Oh, das war es gar nicht«, sagte Sebastian. »Als er sich halbwegs erholt hatte, habe ich ihm ein Foto von seinem sechsjährigen Sohn gezeigt, der draußen mit Buddys Schlampe auf seinen Papa wartete. Und ihm erklärt, dass es doch
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