Kein Erbarmen
glaube das nicht, ich kenne meine Gäste, die tun das nicht.«
Tabori nickte.
»Warum bist du hier?«, fragte Elsbet.
»Ich brauche deine Hilfe.«
Tabori erklärte, dass er gerne einen Blick in ihr Gästebuch werfen würde.
»Ich muss wissen, ob jemand hier war, der die junge Frau kannte, die plötzlich abgereist ist, du weißt schon, als ich …«
»Unmöglich«, unterbrach ihn Elsbet. »Meine Gästen waren alles dänische Leute, nur die Frau war deutsch. Und sie kannte niemand hier.«
»Kann ich vielleicht trotzdem …«
Elsbet schüttelte den Kopf.
»Meine Gästebuch ist heilig, da kannst du nicht hineinsehen. Da musst du mit einem Polizist wiederkommen.«
»Sie war bei der Polizei«, sagte Tabori. »Und sie ist tot. Ich glaube, dass sie ermordet wurde. Deshalb bin ich hier.«
»Du hast gesagt, du bist kein Polizist mehr.«
Elsbet blickte ihn fragend an, mit einer Spur von Argwohn, als wäre ihm tatsächlich nicht zu trauen. Jedenfalls nicht mehr seit der Sache mit dem vietnamesischen Zimmermädchen.
»Es ist kompliziert«, sagte Tabori. »Aber ich muss wissen, ob sie sich hier mit jemandem getroffen hat. Vielleicht hat sieirgendjemand gesehen. Wie war sie überhaupt hier, weißt du das?«
»Ich glaube, mit ein kleines Auto, aber ich weiß nicht genau. Vielleicht blau, ein japanische Marke. Und sie hat einen ganzen Tag auf der Terrasse gesessen und Zeitung gelesen, das war derselbe Tag, an dem sie verswunden ist. Obwohl sie noch einen Tag mehr bezahlt hatte. Vielleicht musst du dahin gehen, wo die Touristen alle sind, und fragen, ob sie jemand gesehen hat. Es gibt ein Kerzenfabrik für die Touristen und ein Keramiker-Künstler und noch andere Stellen, wo man hingehen kann hier, aber das weißt du selber, du warst schon viel hier. Und du bist der Polizist oder auch nicht, und da musst du jetzt deine Arbeit machen und ich muss mich um meine Gästen kümmern, weil das meine Arbeit ist. – Wie lange willst du bleiben?«, setzte sie dann hinzu, während sie bereits aufstand und einem Bedienmädchen winkte, Taboris Tisch abzuräumen.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Tabori. »Wäre schön, wenn ich das Zimmer noch behalten könnte.«
»Ich brauche es nicht. Das Zimmer geht nicht für meine anderen Gästen, weil es zu alt und zu slecht ist. Ich will es im Herbst renovieren, dann mache ich es gut für die nächste Saison.«
»Ich hoffe nicht, dass ich es so lange brauche«, sagte Tabori in dem halbherzigen Bemühen, einen Witz zu machen. Den aber Elsbet ohnehin nicht verstand.
»Wenn du wieder essen willst heute Abend, brauche ich dich angemeldet«, sagte sie nur, gleich darauf klingelte wieder ihr Handy. Die Herzlichkeit, mit der sie im Weggehen ihr Telefonat führte, stand im deutlichen Gegensatz zu ihrem eherdistanzierten Verhalten Tabori gegenüber. Wirklich willkommen bin ich hier nicht mehr, dachte er. Ich muss mich wohl für die Zukunft nach einer anderen Ferienbleibe umsehen, auch wenn es schade ist.
Auf dem Parkplatz wurde er für einen Moment von den Autos der Hochzeitsgäste abgelenkt, die chromglänzend in der frühen Morgensonne standen. Besonders ein knallroter Jaguar E fesselte seine Aufmerksamkeit. Ein paar Meter weiter war ein Citroen aus den Dreißiger Jahren geparkt, wie Alain Delon ihn gerne in den alten französischen Gangsterfilmen fuhr. Tabori erinnerte sich an eine Geschichte, die ihm sein Vater mal erzählt hatte: Dass man selbst mit zehn kräftigen Männern nicht in der Lage sei, einen Citroen umzuwerfen. Tabori hatte keine Ahnung, ob sein Vater da aus eigener Erfahrung gesprochen hatte, aber bis heute hatte er das Bild vor Augen, wie eine Riege muskelbepackter Ganoven an einem Citroen schaukelten – mit seinem Vater zwischen ihnen, im zweireihigen Anzug mit breitem Revers und Gangsterhut mit nach unten gebogener Krempe.
Tabori überlegte, ob er mit seinem Handy ein Foto von dem Citroen machen sollte. Vielleicht so, dass im Hintergrund der Jaguar zu erkennen wäre. Ein knallroter Jaguar E war immer der Traum seiner Jugendtage gewesen. Aber egal, wie er sich verrenkte, die anderen Autos störten das Bild, das er gerne haben wollte, mit ihrer plastikprotzenden Stillosigkeit. Aus den Augenwinkeln sah er den Koch, der rauchend an der Hintertür stand und ihn beobachtete. Tabori schob das Handy zurück in seine Lederjacke und nickte. Der Koch nickte nicht zurück, sondern drehte sich um und verschwand wieder in seiner Küche.
Tabori fühlte sich seltsam frustriert. Nicht wegen
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