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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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des Fotos, das ihm eigentlich ohnehin egal war. Aber er hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Irgendein unklares Gefühl zog ihn zur Grasklippe und dem Bunker hinauf, ohne dass er gewusst hätte, was er dort eigentlich zu finden hoffte. Irgendwelche Spuren, die Sommerfelds Theorie belegten, dass dort oben ein Kampf stattgefunden hatte, bei dem die Anwärterin ums Leben gekommen war. Aber wieso überhaupt der Bunker von Skovsbjerg? In dem weitläufigen Dünengelände gab es weitere Bunker, manche bis über den Eingang im sandigen Boden versackt, andere von den Jugendlichen auf dem nahe gelegenen Campingplatz als heimlicher Treffpunkt für erste flüchtige sexuelle Begegnungen oder auch nur als willkommene Übungsfläche für unbeholfene Graffitis missbraucht. Und auch am Strand waren geborstene Betonreste, die der Brandung als Wellenbrecher trotzten. Wo sollte er anfangen zu suchen? Wäre es nicht sinnvoller, zunächst das Szenario der Ermordung als gegeben hinzunehmen und also den Täter zu suchen, den es ja geben musste? Der die Anwärterin gekannt hatte. Vielleicht. Sicher war auch das nicht. Vielleicht gab es auch gar keine Verbindung zwischen Opfer und Täter. Keine Verbindung außer der Tatsache, dass sie sich hier begegnet waren und diese Begegnung mit dem Tod der Anwärterin endete. Aber wenn es wirklich hier passiert war, war auch der Täter hier gewesen. Und irgendjemand musste ihn gesehen haben.
    Ich komme nicht weiter, dachte Tabori, ich drehe mich im Kreis. Und: Lepcke fehlt mir! Seine Fähigkeit, Prioritäten zu setzen, wenn es zu viele lose Enden gab. Erst jetzt wurde Tabori klar, wie oft es Lepcke gewesen war, der seinen eigenen Überlegungen eine Richtung vorgab, ohne die Taboris Intuitionhilflos ins Leere gelaufen wäre. Und diese Erkenntnis ließ seine Unschlüssigkeit plötzlich zur Ohnmacht anwachsen, er war nicht mehr in der Lage, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen. Sich auf das Naheliegende zu konzentrieren, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Aber was war das Naheliegende? Welcher Schritt würde ihn weiterbringen?
    Er schloss die Tür des Passats auf, nur um sie gleich darauf wieder zuzuknallen und mit langen Schritten zum Hotel zurückzustürmen.
    Elsbet stand an der Rezeption. Der rotgesichtige Mann neben ihr, der Tabori augenblicklich an den schwitzenden Wanderer auf der Tuborg-Reklame erinnerte, war wahrscheinlich der dänische Landwirtschaftsminister, von dem gestern die Rede gewesen war. Tabori ignorierte ihn und beugte sich über den Tresen zu Elsbet.
    »Was war das für ein Streit zwischen dir und dem Koch?«
    Zwischen Elsbets Augenbrauen bildete sich eine steile Furche.
    »Undskyld«, sagte sie zu dem Landwirtschaftsminister, »et øjeblik.« Sie winkte Tabori mit dem Kopf, dass er ihr folgen sollte. Im Durchgang zur Gästetoilette griff sie schmerzhaft nach seinem Arm. Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern, das ihre Wut nicht verbergen konnte.
    »Was soll das? Du siehst, dass ich in ein Gespräch mit eine meiner Gästen bin.«
    »Der Streit«, wiederholte Tabori. »Letzte Nacht. Direkt vor meinem Fenster.«
    »Kein Streit. Nur ein Disput zwischen dem Küchenchef und seinem Boss, die es nicht mag, wenn sich jemand zu wichtig macht.«
    »Und worum ging es?«
    »Du hast mich nicht verstanden: Ich mag es nicht, wenn sich jemand wichtig macht. Egal, ob es eine Koch ist oder eine frühere Polizist. Und jetzt lass mich mein Job tun bitte!«
    Sie drehte sich grußlos um. Gleich darauf hörte Tabori, wie sie sich nochmals bei dem Landwirtschaftsminister entschuldigte.
    Er ging ins Gästeklo und ließ kaltes Wasser über seine Handgelenke laufen.
    »Du bist ein Idiot«, sagte er laut zu seinem Spiegelbild. Du musst ihr nachher irgendwas mitbringen und dich bei ihr entschuldigen, setzte er in Gedanken hinzu.
    Als er zwei Minuten später vom Parkplatz fuhr, ließ er die Kupplung so schnell kommen, dass der Kies unter den Vorderreifen aufspritzte. Der Himmel über ihm war von einem unnatürlichen Blau. Tabori war schwindlig.

9
    Früher war er grundsätzlich nicht nach Hause gefahren, ohne spätestens am letzten Tag noch für mehrere hundert Kronen Kerzen eingekauft zu haben. »Lerup Lys« war ein Bauernhof oberhalb der Schotterstraße von Lerup nach Stenhoj. Früher war der Kerzenladen kaum mehr gewesen als eine große Scheune, in der an langen Gestellen aufgereiht die verschiedensten Formen und Größen von Kerzen hingen. Aber es waren vor allem die Farben gewesen,

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