Kein Erbarmen
waren. Und der Abstrich war negativ gewesen, aber Bohnenkamp hatte noch irgendwas von Verletzungen im Analbereich gesagt, das Problem war nur wieder, dass Tabori keinen Zugriff auf die Ergebnisse hatte. Ich weiß nichts, dachte er, ich habe keinerlei Einblick in die laufenden Ermittlungen, ich bin hilflos ohne den Apparat, dem ich froh war, entkommen zu sein …
11
»Und sie ist ermordet worden, glaubst du?«, unterbrach Michael Taboris Gedanken. Er hatte das Foto hochgenommen und betrachtete ungläubig das Gesicht der Anwärterin, als wäre ihm erst jetzt klar geworden, dass sie nicht mehr lebte. »Heißt das, es könnte auch hier irgendwo passiert sein …?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Tabori, »aber möglich ist es. Sogar wahrscheinlich.«
Michael blickte hoch und an Tabori vorbei zum Fenster. Mit zwei schnellen Schritten war er an der Tür und brüllte in den Hof hinaus: »Gunnar! Komm mal kurz her, ich muss dir was zeigen!« Er drehte sich zurück zu Tabori. »Mein Großer. Er ist gerade bei der Armee. Meine Frau wollte nicht, dass er hingeht. Aber es dauert nur ein halbes Jahr hier und er kann sogar zu Hause wohnen, weil die Kaserne nur zwanzig Kilometer entfernt ist. Ziemlich lasch, das Ganze, und am Wochenende hängen sie sowieso nur in der Disko rum, deshalb dachte ich gerade …«
Gunnar kam in den Laden. Ein hochaufgeschossener Zwanzigjähriger mit millimeterkurzem Haarschnitt. Er trug Springerstiefel und eine Tarnfleckhose, unter dem olivgrünen T-Shirt waren die Ansätze von Oberarm-Tattoos zu sehen.
Tabori empfand sein Erscheinungsbild als krassen Widerspruch zu dem offenen Lachen, mit dem Gunnar ihn begrüßte.
Michael hielt seinem Sohn das Foto hin.
»Hast du die Frau schon mal irgendwo gesehen? Vielleicht in der Disko oder so?«
»Nein. Doch warte mal, ich glaube … Doch, klar, das ist sie! Ich wollte sie erst noch ansprechen wegen dem Pullover, den sie anhatte, deshalb ist sie mir überhaupt aufgefallen, der war ja von uns. Aber es passte nicht, weil der Gruppenführer neben mir war und außerdem …«
»Wo war das?«, unterbrach ihn Tabori nervös. »Und weißt du vielleicht auch noch, wann?«
»Klar weiß ich das, letzte Woche, Donnerstag. Ich weiß es, weil wir eine Übung hatten, deshalb war ja auch der Gruppenführer dabei. Und er hatte mich sowieso schon auf dem Kieker, weil ich rumgenölt habe, wegen dem Umweg, den er uns aufgeknattert hatte.« Er blickte zu seinem Vater. »Heißt das so?«
»Aufgebrummt«, korrigierte Michael.
»Aufgebrummt, nicht geknattert. Eigentlich war nur ein Strandmarsch angesagt, mit vollem Sturmgepäck und so! Aber dann hat er uns auch noch die Klippe hochgebrummt. Und da oben war sie dann auch, die Frau hier.«
Michael warf einen Blick auf den Kalender an der Wand. »Donnerstag war der 7. September, derselbe Tag, an dem sie hier war.«
»Weiter!«, drängte Tabori.
»Diese Klippe, auf der du sie gesehen hast, war das bei Skovsbjerg?«
»Was? Ach so, ja, du meinst Skosbjer, so wird das gesprochen, aber stimmt schon, da war das. Bei dem alten Bunker da oben.«
»Kannst du dich noch an irgendwas erinnern? Was hat sie da gemacht?«
»Mit diesem Typen da rumgemacht.«
Tabori merkte, wie sich sein Magen zusammenzog. Da war das lose Ende des Fadens, an den er schon nicht mehr geglaubt hatte. Er schaffte es kaum, die nächste Frage zu stellen, sein Atem ging stoßweise.
»Sie war nicht allein?«
»Nein, sage ich doch. So ein Typ, der echt verboten aussah. Kai hat mir noch zugeflüstert, dass es echt zum Kotzen ist, dass die coolsten Bräute immer mit …« Er sagte etwas auf dänisch zu seinem Vater.
»Kann man schlecht übersetzen«, entschuldigte sich Michael. »Torsk, das heißt eigentlich Dorsch, aber … so was wie der Dorftrottel.«
»Genau«, grinste Gunnar. »Der Dorftrottel!«
»Wieso?«, hakte Tabori nach.
»Mann, ein Typ, der sich mit einer echt coolen Frau trifft und voll nicht locker ist, sondern Fangen mit ihr spielt! Echt, sie ist immer so weggerannt, und er immer hinter ihr her. Rumgemacht, sag ich doch.«
»Kannst du mir den Typen ein bisschen genauer beschreiben, Größe, Statur, Gesicht? Haare, blond oder dunkel, ein Bart vielleicht, Brille?«
Gunnar zuckte mit den Schultern. »Nee, eigentlich nicht, weiß ich nicht mehr, wenn ich ein Foto sehen würde, würde ich ihn vielleicht wieder erkennen. Aber so? Nee. Einfach ein Torsk eben. Und mit so einer Warnweste über der Lederkombi.«
»Warnweste?«, stieß Tabori
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