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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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Der Aufprall ließ Tabori vor Überraschung keuchend zusammenklappen und in die Knie gehen, Rinty leckte ihm unverzüglich begeistert übers Gesicht. Neben sich hörte er, wie Lisa lachend die anderen Hunde abwehrte, dann war auch Warren da, wieder in dem unvermeidlichen Reitermantel, allerdings – wohl der irrigen Annahme geschuldet, um diese Zeit ohnehin niemanden anzutreffen – mit nichts darunter als einem hellgestreiften Schlafanzug.
    Er streckte Tabori die Hand hin und half ihm auf die Füße.
    »Wir haben uns noch gar nicht begrüßen können«, sagte er. »Aber was haltet ihr von einem schnellen Espresso? Jetzt, bei mir im Wagen, ich lad euch ein. Ich bringe nur schnell die Hunde in den Zwinger und zieh mir was anderes an, dann bin ich so weit …«
    Tabori warf einen Blick zu Lisa hinüber. Sie lächelte leicht spöttisch und nickte. »Wer weiß, wofür es gut ist.«
    Tabori zuckte mit den Schultern. Schade, dachte er, auch wenn Lisa wahrscheinlich recht hatte. Dennoch, das Risiko wäre es wert gewesen.
    »There’s always next year«, brachte er resigniert grinsend an, eine der typisch irischen Floskeln, wenn es um verpasste Gelegenheiten ging und die Hoffnung das Einzige war, was blieb, um nicht am Leben zu verzweifeln.
    »Zum Beispiel«, kam es lachend von Lisa, und Tabori merkte, dass ihre Antwort ihn merkwürdig glücklich machte.
    »Hört mal«, sagte Warren in ihr kleines und nur für sie verständliches Zwischenspiel hinein, »also, wenn es gerade nicht passt, dann verschieben wir das, ich meine, ich wollte euch nicht …«
    »Schon okay«, sagte Lisa. »Gib uns fünf Minuten, dann sind wir da! Rinty und Beago dürfen mit ins Haus, kümmere du dich um die anderen, ja?«
    Als sie in die Küche kamen und den Tisch mit den zwei leeren Weinflaschen und dem voll gehäuften Aschenbecher sahen, gab es noch einmal einen kurzen Moment, in dem sie beide viel zu dicht nebeneinander standen und es schien, als würde jeder nur auf den ersten Schritt des anderen warten, bis Lisa sich fast unwirsch wegdrehte.
    »Es ist zu spät«, sagte sie leise. »There’s always next year, lassen wir es dabei. – Ich geh schnell duschen, dauert nur fünf Minuten.«
    »Ich räum so lange auf«, nickte Tabori. »Aber wenn Svenja wieder zu sich gekommen ist, sollten wir dringend mit ihr reden. Ich hab keine Lust, jedes Mal ihren Dreck wegzuräumen, das kann sie in ihrer WG machen, aber nicht, wenn sie hier ist …«
    »Eher bringe ich Rinty bei, demnächst mit Messer und Gabel zu essen«, war Lisas einziger Kommentar, während sie schon auf dem Weg zu ihrem Zimmer war.
    Tabori stellte die leeren Flaschen unter die Spüle, erst als er den Aschenbecher ausleeren wollte, fiel ihm das Foto auf, das unter einen halbvollen Becher mit kaltem Kaffee geschoben war. Ein Schwarzweiß-Foto, das ihn irritiert zu der Wandlinks und rechts des alten Buffets hinüberblicken ließ. Die Stelle, an die es eigentlich gehörte, stach als leerer Fleck aus den dicht an dicht gehängten Fotos hervor. Lisa und er hatten irgendwann damit angefangen, die Wand vom Boden bis zur Decke mit den verschiedensten Aufnahmen zu tapezieren, die sonst doch nur in alten Alben vergessen worden wären – viele Bilder aus ihrer Kindheit, Schnappschüsse von irgendwelchen Urlaubsfahrten, verwackelte Fotostreifen aus einem Passbildautomaten, auch eine Reihe von Porträts, die sie bei den wenigen gemeinsamen Abendessen mit Freunden gemacht hatten: Lepcke war dabei und natürlich auch Svenja.
    Das Foto, das jetzt auf dem Tisch lag, stammte noch aus Taboris Schulzeit, fünf Jungen im Turnzeug, die dicht gedrängt hintereinander auf einem Seitpferd saßen, während ein sechster mit gespielter Anstrengung vorgab, sie gerade quer durch die Sporthalle zu schieben. Dieser sechste Junge war Tabori selber, schon damals, in der siebten oder achten Klasse, mit dem wirren schwarzen Haarschopf, der jeder Bürste zu trotzen schien. Bis auf den dicken Haifisch konnte Tabori die anderen Gesichter auf den ersten Blick nur schwer irgendwelchen Namen zuordnen, aber als er das Foto umdrehte, sah er den mit Schreibmaschine getippten und sorgfältig aufgeklebten Zettel, der genau für diesen Fall gedacht war: »v. l. n. r.«, sechs Nachnamen, dahinter die jeweils dazugehörigen Vornamen, sein eigener der letzte in der Reihe, in der Mitte dann Heinisch, Stephan, nachträglich mit Kugelschreiber umkreist. Von dem Kreis führte ein Strich zu einer handschriftlichen Bemerkung, die gerade erst

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