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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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oder?«
    »Wenn du wissen willst, ob sie glaubt, dass du einen Vogel hast – ja, ich denke schon«, grinste Tabori und war sich im gleichen Moment nicht sicher, ob seine Erwiderung tatsächlich so witzig war, wie er gedacht hatte. Aber Warren hob nur den Zeigefinger vor den Käfig. Der Dompfaff hörte auf, seinen Schnabel zu wetzen und legte den Kopf schief, um mit seinen kleinen Knopfaugen den Finger zu fixieren.
    Plötzlich pfiff Warren eine schnelle Folge von Tönen – und der Dompfaff wiederholte die Melodie ohne einen einzigen Fehler.
    »Gut?«, fragte Warren an Tabori gerichtet.
    »Jumping Jack Flash?«, fragte Tabori überrascht zurück.
    Warren nickte stolz.
    »Wir können auch noch ›In the Summertime‹ und ›Love Like a Man‹, nur mit dem Rhythmus hat er manchmal noch Schwierigkeiten.«
    »Aber …«,setzte Tabori an.
    »Was das soll?« Warren lachte. »Ich hab mal was von einem alten Mann im Harz gehört, der angeblich sein Geld damit verdient hat, dass er Dompfaffen irgendwelche Volkslieder beibrachte. ›Ein Jäger aus Kurpfalz‹ und solche Sachen. Und ich wollte wissen, ob das auch mit anderen Melodien geht.«
    Warren warf das Tuch zurück über den Vogelkäfig und setzte sich wieder.
    »Darf ich?«, fragte Tabori und hielt die Zigarettenschachtel hoch. »Nur eine, dann muss ich los.« Vielleicht wollte er nur den Zeitpunkt noch hinauszögern, an dem er mit Lepckereden musste. Aber er fühlte sich wohl im Zirkuswagen und er mochte Warren, auch wenn er ein komischer Kauz war, der jetzt Dompfaffen beibrachte, irgendwelche Rocksongs zu pfeifen.
    Warren holte einen Aschenbecher.
    »Rauch ruhig, kein Problem. Ich hab nur aufgehört damit, weil ich die Treppen zum Atelier nicht mehr hochgekommen bin.«
    Tabori erkannte den Rest eines Joints im Aschenbecher, sagte aber nichts, sondern zündete sich die Zigarette an und blies den Rauch an die Decke. »Du hast auch aufgehört zu malen, habe ich gehört.«
    »Gut, reden wir. Ja, ich habe aufgehört zu malen.« Warren zeigte auf die Postkarte von Timm Ulrichs. »Deshalb. – Und du bist nicht mehr bei der Polizei, aber hast trotzdem nicht aufgehört, Polizist zu sein. Das habe ich jedenfalls gehört.« Er blickte Tabori fragend an.
    »Scheint so«, sagte Tabori und fragte sich, worauf Warren hinauswollte. Zumindest war klar, dass es plötzlich um mehr ging als Smalltalk.
    »Aber es geht dir nicht gut damit«, stellte Warren fest. »Du hast ein Problem, und das hat nichts damit zu tun, dass du offiziell kein Bulle mehr bist und dich zurücksehnst nach deiner Uniform. In einem Satz zusammengefasst: Ich hab keine Ahnung, warum du den Dienst quittiert hast, aber eigentlich wärst du nur einfach gern ein guter Bulle, der seine Fähigkeiten dazu einsetzt, das Verbrechen zu bekämpfen! Nur dass auch du inzwischen kapiert hast, dass du mit dem Rücken zur Wand stehst – es geht nicht mehr nur darum, einen Mord aufzuklären, einen Täter zu überführen, unschuldige Opfervor irgendwelchen Übeltätern zu schützen. Das alte Schwarz-weiß-Bild von Gut und Böse funktioniert nicht mehr, schon lange nicht mehr, das Verbrechen hat längst Dimensionen angenommen, die weit über das hinausgehen, was du als Einzelner lösen kannst, egal ob du nun Kommissar bist oder einfach nur jemand, der immer noch an ein funktionierendes Rechtssystem glaubt oder überhaupt an irgendeine Form von Gerechtigkeit.«
    Tabori zündete sich eine neue Zigarette an dem Rest der alten an.
    »Schön gesagt, das trifft es ganz gut. Mit der Einschränkung allerdings, dass ich das auch schon mitgekriegt hatte, bevor ich den Verein verlassen habe. Aber das ändert nichts daran, dass du recht hast. Und genau das zieht mir gerade den Boden unter den Füßen weg, ich weiß nicht mehr, worum es eigentlich geht. Doch, natürlich weiß ich es, ich habe zwei Morde, die nicht aufgeklärt sind, und eine Entführung, die vielleicht Mord Nummer drei wird, ich bin in etwas verwickelt, das ich nicht einfach hinnehmen kann und darauf warten, dass die ehemaligen Kollegen das vielleicht irgendwann gelöst kriegen. Das betrifft mich ganz persönlich, aber je tiefer ich grabe, umso mehr … ich weiß nicht, ob ich dir das jetzt alles erzählen soll, es ist mein Problem, ich …«
    »Du bist kein Bulle mehr, also gibt es auch nichts, was du nicht jedem erzählen dürftest, oder? Und ich hab dich gefragt, also!«
    »Genau wie du gesagt hast, ich bin Polizist, was anderes kann ich nicht. Für mich geht es darum, die

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