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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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und das will ich mir nicht gefallen lassen. Nicht von ihr und auch von sonst niemandem.«
    »Geh duschen. Und wenn du dann keine Lust mehr hast rüberzukommen, leg dich einfach hin und schlaf erstmal. Ich komme auch alleine mit deinem Vater klar.«
    Lisa strich sich die Haare zur Seite und blickte Tabori an.
    »Vielleicht sind wir einfach blöd, wir beide, vielleicht ist es das. Ich meine, warum … ach, vergiss es, du weißt, was ich meine.« Sie stand auf und hauchte Tabori einen Kuss auf die Wange. »Wenn Warren dich nervt, schmeiß ihn aus dem Wohnwagen, alles klar?«
    »Alles klar«, sagte Tabori.
    Lisa grinste und verschwand in Richtung Badezimmer.
    Es ist nie so einfach, wie es sein könnte, dachte Tabori. Für einen Moment hatte er das Bild vor Augen, wie Lisa und er zusammen im Bett lagen, mit einem Frühstückstablett vor sich, und den beiden Hunden am Fußende, die mit gespitzten Ohren zuhörten, wie Lisa die Schlagzeilen der Morgenzeitung kommentierte. Aber das sind wir nicht, dachte Tabori, das hat nichts mit uns zu tun, das ist nur was für Leute, für die die Welt morgens um sieben noch in Ordnung ist. »Und außerdem ist es noch nicht mal sechs«, sagte er mit einem Blick auf die Uhr halblaut zu sich selber.

23
    Warren hatte nicht nur den Kaffee fertig, sondern war gerade dabei, Eier und Schinken, Tomaten, Pilze und Würstchen zu braten. Auf Taboris Information hin, dass Lisa entweder nachkommen oder gleich ins Bett gehen würde – »nimm es ihr nicht übel, sie ist echt ziemlich fertig« – räumte er wortlos Lisas Gedeck wieder ab. Tabori registrierte, dass er ein helles Leinenjackett über einem frischen weißen Hemd trug, auf seiner schwarzen Hose waren Farbflecken, die rechte Jacketttasche war von einer Bierdose ausgebeult.
    Tabori blickte sich um. Er mochte die Atmosphäre, die der alte Zirkuswagen ausstrahlte, die holzverkleideten Wände, die winzige Kochnische, die Einbauschränke, alles auf Pass gearbeitet und ohne einen Zentimeter Raum zu verschenken. Warren hatte seine Sachen immer noch in den Kartons, mit denen er angereist war, als wollte er jederzeit bereit sein, wieder aufzubrechen. Er hatte nur seine Stereoanlage aufgebaut – ein wahres Monstrum aus den Siebziger Jahren, mit Plattenspieler und einem Vierspurtonbandgerät – und ein vergilbtes Plakat an die Wand gehängt, die Ankündigung einer Ausstellung von Wolf Vostell, »Goethe heute«. Daneben war mit Reißzwecken eine Postkarte befestigt, Tabori kannte das Motiv – ein Mann mit dunkler Brille und einer Blindenbinde am Arm, darunter die Schriftzeile ICH KANN KEINE KUNST MEHR SEHEN, eine der vielen Wortspielereien, mit denen der Totalkünstler Timm Ulrichs immer wieder vonsich reden gemacht und nicht nur Hannovers Bildungsbürgertum aufgeschreckt hatte. Er beugte sich vor, um auch die handschriftliche Notiz zu lesen, die an den Rand der Karte gekritzelt war: »
Leider haben wir uns noch immer nicht getroffen, auf bald, Timm Ulrichs.
«
    Warren schob ihm einen voll gehäuften Teller hin, er selbst aß direkt aus der Pfanne. Die Würstchen schmeckten nach irgendeinem Gewürz, »Salbei«, erklärte Warren, als Tabori danach fragte, »die gibt es nur in einem einzigen Laden in Berlin, ich kauf immer gleich einen Vorrat davon.«
    Sie redeten einen Moment darüber, dass zu einem englischen Frühstück eigentlich auch immer noch weiße Bohnen in Tomatensoße gehören würden, waren sich aber beide einig, dass es ohne die Bohnen besser schmeckte.
    »Keith Richards isst übrigens jeden Morgen original englischen Shepherd’s Pie«, erzählte Warren. »Seit fast vierzig Jahren inzwischen. Egal, wo er ist, er lässt sich das Zeug einfach einfliegen.«
    »Scheint ganz gut als Gegengift zum Koks zu funktionieren«, grinste Tabori. »Vielleicht hat er nur deshalb so lange durchgehalten. Ich hab dich gestern Abend übrigens tanzen gesehen«, setzte er dann hinzu. »Das waren auch die Stones, oder?«
    Warren schob die Pfanne zurück.
    »Ich muss dir was zeigen«, erklärte er als Antwort auf Taboris Frage. »Pass mal auf!«
    Er ging zur Rückseite des Wagens und zog ein buntes, indisches Tuch zur Seite, unter dem ein vergoldeter Vogelkäfig versteckt war. Ein Dompfaff flatterte aufgeregt von der Sitzstange auf den Boden und fing an, seinen Schnabel an den Gitterstäben zu wetzen.
    »Du musst ja Lisa nicht unbedingt davon erzählen«, sagte Warren. »Ich fürchte, sie würde mich für völlig bescheuert halten. Aber das tut sie sowieso,

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