Kein Erbarmen
Wahrheit zu finden. Aber ich habe das klare Gefühl, dass es nicht unbedingt der Wahrheit dient, wenn ich in zu vielen dunklen Eckengleichzeitig herumstochere. Nur dass diese dunklen Ecken da sind, und ich auch nicht einfach so tun kann, als gäbe es sie nicht. Also pass auf, in Kurzform …«
In groben Zügen berichtete Tabori von den Morden an der Polizeianwärterin und dem Leiter der Hundeführer-Abteilung, dann kam er auf das, was Heinisch erzählt hatte und was durch den Artikel, der in dem Heft aus Svenjas WG abgedruckt war, neues Gewicht bekommen hatte: »Wir reden hier von Geldwäsche im großen Stil, womöglich auch Mädchenhandel und Zwangsprostitution, und die Verflechtungen reichen weit über das Rotlicht-Milieu hinaus, bis in höchste Kreise aus Politik und Wirtschaft. Aber der eigentliche Knackpunkt ist, dass es da sogar schon mal eine Sonderkommission gab, die über Jahre hinweg entsprechendes Beweismaterial zusammengetragen hat, und zumindest die Tatsache der Geldwäsche mit allen Namen und Daten belegen konnte – aber dann von oben zurückgepfiffen wurde, und zwar nicht polizeiintern, sondern von Seiten des zuständigen Ministeriums! Das heißt, das Business läuft sozusagen ganz offen weiter, ohne dass irgendjemand auf Ermittlungsebene einen Zugriff hätte …« Als er sah, dass Warren etwas sagen wollte, hob Tabori die Hand. »Warte, ich bin gleich fertig. Der Zusammenhang fehlt noch zwischen meinen Morden und den Verflechtungen, von denen in diesem Zeitungsbericht die Rede ist: Als wir anfangen, den Hintergrund eines der Mordopfer – nämlich dieses Ausbilders – zu durchleuchten, werden auch wir zurückgepfiffen, beziehungsweise Lepcke. Aber wir stoßen trotzdem noch auf eine Namensliste, alles Codenamen, die sich aber bestimmten Personen zuordnen lassen, die wiederum zum Kreis derjenigen gehören, die auch inbesagtem Zeitungsbericht mehr oder weniger offen benannt werden. Und um das Chaos perfekt zu machen, gehört auch noch der neue Polizeipräsident dazu, den ich fatalerweise von früher kenne, aus unserer gemeinsamen Schulzeit, und der, als ich ihn zur Rede stelle, nichts Eiligeres zu tun hat, als mir eine Art Verschwörungsgeschichte aufzutischen, die er angeblich selber unter allen Umständen gewillt ist aufzudecken …«
»Aber du bist dir nicht sicher, ob du an diese Verschwörung glauben sollst?«
»Ich würde gerne nicht daran glauben, aber der Zeitungsartikel über die Soko spricht dafür, dass an der Sache was dran ist. Völlig unabhängig davon, ob der Polizeipräsident das Ganze wirklich auffliegen lassen will oder nur versucht, Zeit zu gewinnen.«
»Lass mich raten«, nickte Warren, »diese Namensliste, das sind Leute, die ganz oben sind, sagst du, gewissermaßen unantastbar, ehrenwerte Mitglieder der Gesellschaft, wie zum Beispiel auch ein ehemaliger Bundesminister?«
Tabori blickte überrascht hoch.
»Ja, wieso? Wie kommst du darauf?«
»Ich war mal auf einer Party bei ihm – falls wir über dieselbe Person reden –, er hatte ein Bild von mir gekauft, zu der Zeit, als es in gewissen Kreisen für chic galt, sich einen echten Warren Mueller an die Wand zu hängen. Wahrscheinlich war ich eingeladen, weil sich diese Leute immer gerne mit einem Vorzeige-Künstler schmücken, so wie man sich früher einen Hofnarren gehalten hat, und je exzentrischer der Künstler, umso besser. Aber jedenfalls erinnere ich mich noch, wie da zwischen Sekt und Häppchen und später dann der einen oder anderen Linie Koks ganz offen irgendwelche Deals verhandeltund per Handschlag besiegelt wurden, unter anderem auch zwischen eben diesem Minister und verschiedenen Vorstandsmitgliedern eines nicht gerade unbekannten Wirtschaftskonzerns. Ich kann dir nicht sagen, worum es genau ging, dazu habe ich mich in der Runde da zu schnell mit jeder Art von Alk weggeschossen, die ich in die Finger kriegen konnte. Aber wenn ich jetzt gerade in der Zeitung lesen darf, dass der Minister nicht mal ein halbes Jahr, nachdem er zurückgetreten ist, als Vorstandsvorsitzender bei einer, ich zitiere, ›der ersten Adressen der deutschen Wirtschaft‹ wieder auftaucht, und wenn diese Adresse dann genau das Unternehmen ist, mit dem er damals … muss ich noch mehr sagen?«
»Du meinst, ich bin naiv, wenn ich das nicht glauben will, was offensichtlich ist.«
»Naiv, ja, das dürfte das richtige Wort dafür sein. – Noch einen Kaffee?«
Tabori nickte.
Während Warren sich an der Espressokanne zu schaffen machte, legte
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