Kein Erbarmen
von links und rechts in kollektiver Begeisterung ihre wedelnden Arme und Hände ins Gesicht schwangen.
»Lepcke?«, rief Tabori halblaut, bevor er zur Schlafzimmertür hinüberging, die ebenfalls offen stand. Auf dem Fußboden waren wahllos verschiedene Kleidungsstücke verstreut. Tabori sah einen roten Frauenslip und einen BH, dann erst wanderte sein Blick zum Bett. Zwischen den zerwühlten Laken lag eine nackte Frau auf dem Bauch und schlief, von Lepcke selber war nichts zu sehen, aber die Sache war ohnehin schon klar, Lepcke vergnügte sich offensichtlich bereits mit einem Ersatz für Lisa.
Tabori war nur froh, dass es nicht auch noch Svenja war, sondern nach dem Körperbau zu urteilen eher eine Frau in Lepckes Alter, trotzdem dachte er, dass Lepcke ein ziemliches Arschloch war, auch wenn ihn seine Frauengeschichten eigentlich nichts angingen.
Unschlüssig, was er machen sollte, trat er einen Schritt zurück – und spürte im gleichen Moment, wie sich ihm derLauf einer Waffe in den Rücken bohrte. Fast automatisch nahm er die Hände hoch, als er Lepckes Stimme dicht an seinem Ohr hörte, war er noch nicht mal verwundert, obwohl er gar nichts begriff.
»So, Alter, und jetzt gehst du ganz ruhig da rüber und setzt dich hin.«
Lepcke schob ihn in Richtung Sofa und stieß ihn auf die Polster, aus den Augenwinkeln sah Tabori, wie die nackte Frau auf dem Bett sich umdrehte und ungeniert reckte, bevor sie aufstand und ihre Unterwäsche vom Boden sammelte. Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, sonntagmorgens aufzuwachen und einem wildfremden Mann in der Wohnung nackt gegenüberzustehen. Ihre Haare reichten ihr bis weit über den Rücken, sie war blond und zwischen den Beinen nicht rasiert.
Lepcke setzte sich in Taboris Blickfeld und pustete über seinen ausgestreckten Zeigefinger, wie ein Westernheld, wenn er den Showdown für sich entschieden hat. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
Tabori versuchte ein müdes Grinsen.
»Ich habe es für einen Moment tatsächlich geglaubt«, sagte er. »Mit der Waffe, meine ich …«
Die Blonde kam, immer noch nackt, ins Zimmer, ihre Unterwäsche hielt sie in der Hand. Sie musste deutlich älter sein als Lepcke, ihr Gesicht hatte einen harten Zug, was Tabori spannend fand. Er hätte gerne gewusst, welche Farbe ihre Augen hatten. Er tippte auf Grau.
»Darf ich vorstellen«, sagte Lepcke und klang leicht genervt, »meine große Schwester, die gerade zu Besuch ist, Inga – und der durchgeknallte Kollege, von dem ich dir erzählthabe. Der Ex-Kollege«, setzte er für seine Schwester hinzu.
»Degenhard«, erwiderte sie mit spöttischem Lächeln, »ich hab ihn mir anders vorgestellt, nicht so … ich weiß nicht, anders eben.« Sie ließ ihren Blick über Tabori wandern und schüttelte lachend den Kopf. »Völlig anders. – Ich verschwinde erst mal unter der Dusche, ihr kommt klar, oder?«
Lepcke nickte wortlos.
Einen Moment lang starrten sie sich nur an.
Als das Rauschen der Dusche aus dem Badezimmer klang, sagte Tabori: »Also, ich glaube, ich bin dir eine Erklärung schuldig, deshalb bin ich hier.«
»War klar, dass du kommst, nachdem du das Foto mit meiner Notiz gefunden hast. Ich habe schon auf dich gewartet.«
»Und warum hast du nicht aufgemacht?«
Lepcke zuckte mit den Schultern. Er stand auf und schob die Terrassentür zu, dann lehnte er sich mit dem Unterarm auf das halbhohe CD-Regal und stützte den Kopf auf die Hand, um gleich darauf Spielbein und Standbein zu wechseln, die Hände in die Hosentaschen zu schieben und auf den Fußballen zu wippen.
»Ich hab dir auch was zu sagen.«
»Kannst du dich vielleicht trotzdem hinsetzen? Du machst mich ein bisschen nervös mit deinem Rumgehampel.«
»Schön, freut mich, dass du nervös bist. Ich bin auch nervös.«
Tabori verdrehte die Augen. »Okay, ich hab’s kapiert, aber …«
»Kein Aber. Ich rede. Du hörst zu, klar?«
»Du hast nicht zufällig irgendwo noch Kippen liegen? Ich hab meine in der Jacke, im Auto.«
»Pech für dich. Aber nicht mein Problem.«
»Oh Mann, jetzt komm schon, lass die Spielchen! Was willst du sagen?«
»Wir kennen uns jetzt schon so lange, und ich habe lange Zeit auch tatsächlich gedacht, wir wären so was wie Freunde! Obwohl es nicht gerade leicht ist, mit dir befreundet zu sein, aber ich hatte wenigstens geglaubt, dir vertrauen zu können. Ich habe dir vertraut, Mann! Und ich habe mehr als einmal meinen Kopf hingehalten für dich, das weißt du genau. Nur was
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