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Kein Erbarmen

Kein Erbarmen

Titel: Kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerold , Haenel
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und drückten sich zu beiden Seiten des ersten Fensters mit dem Rücken an die Wand. Für einen kleinen Moment wurde Tabori von einer Wolke abgelenkt, die sich vor die Sonne schob – eigentlich nur ein Wolkenfetzen, dachte Tabori, man kann die Sonne immer noch sehen, jetzt ist sie wieder da, verdammt, was ist los mit mir, ich muss mich konzentrieren …
    Lepcke zischte irgendetwas zu ihm herüber, dann schob er sich vor, bis er über die Schulter durch die Scheibe blicken konnte: »Küche«, meldete er halblaut, »Geschirr für eine Person auf dem Tisch, Tür zum Wohnraum steht offen, nirgends jemand zu sehen.«
    Tabori nickte und zeigte mit dem Kopf zur Haustür, gleichzeitig meinte er, ein Geräusch zu hören, Lepcke hatte es auch gehört und blickte fragend zu ihm.
    Die Sonne hing wie eine gleißende Scheibe am Himmel, das Licht war hart und unwirklich. Tabori schluckte.
    »Zugriff!«, sagte er.
    Die Tür ging nach innen auf und schlug schwer gegen die Wand, mit lehrbuchmäßig vorgestreckter Waffe stürmte Lepcke in den Flur, links war die Tür zum Badezimmer, dahinter der erste Schlafraum, Lepcke brauchte nicht mehr als fünf Sekunden, um jedes Mal zu melden: »Gesichert!«. Tabori hielt den Blick starr auf den Durchgang zum Wohnraum gerichtet, nichts rührte sich. Wenn er den nahezu immer gleichen Grundriss der Ferienhäuser richtig im Kopf hatte, musste es noch ein weiteres Schlafzimmer auf der anderen Seite geben, als er einen Schritt nach vorne machte, konnte er die Tür sehen, davor den Wohnraum mit einer protzigen Ledergarnitur vor dem offenen Kamin, ein Sessel lag umgestürzt auf der Seite.
    Als Lepcke sich neben ihn schob, hob er die Hand: »Warte noch.« Irgendein unklares Gefühl hielt ihn davon ab, den sicheren Schutz des Flurs aufzugeben, noch einmal ließ er den Blick durch den Wohnraum wandern. Neben dem Sofa lagen Kleidungsstücke auf dem Boden, als wären sie vorher ordentlich gestapelt gewesen und der Stapel dann umgestürzt. SoweitTabori sehen konnte, war es die vollständige Bekleidung eines Mannes: Turnschuhe, Jeans, Socken, T-Shirt und Boxer-Shorts, zuunterst eine schwere Motorradjacke aus schwarzem Leder mit rotweiß abgesetzten Schulterstücken. Auf der anderen Seite der Schiebetüren zur Terrasse lag der Schäferhund, die Blutlache unter seinem Kopf war in der Sonne bereits getrocknet und nur noch als dunkler Fleck auszumachen.
    Lepcke stieß ihn an und zeigte zu einem frei liegenden Deckenbalken hinauf. Der Wohnraum war nach oben bis unter die Dachschräge offen, an den Balken war eine Schlinge geknüpft, ein Stück zerfasertes Tau vom Strand, die blaue Farbe ausgeblichen und mit Teerflecken besprenkelt.
    »Scheiße«, stieß Lepcke leise hervor. »Und wo ist der Tote?«
    Ein Wimmern ließ sie zusammenzucken.
    »Hinter dem Sessel, glaube ich«, sagte Tabori, »er lebt noch!«
    Unwillkürlich machten sie einen Schritt in den Raum hinein. Tabori hob den Fuß und stieß den Sessel zur Seite.
    »Scheiße«, sagte Lepcke wieder.
    Das Letzte, was Tabori noch sah, war der nackte und in Fötushaltung zusammengeschnürte Körper von Damaschke. Das Geräusch in ihrem Rücken kam völlig überraschend.

26
    Die beiden Anwärterinnen waren gut gewesen. Ihr zeitgleicher Sprung von dem offenen Schlafboden herunter war perfekt getimt, Tabori hatte mehr gespürt als wirklich gesehen, wie Lepcke neben ihm zu Boden ging, dann hatte ihn auch schon der Aufprall eines Körpers gegen seinen eigenen Rücken nach vorne geworfen, er war schwer gegen die Tischkante geschlagen, dann war ihm schwarz vor Augen geworden.
    Als er wieder zu sich kam, war sein Gesicht nur Zentimeter von Damaschke entfernt, der mit offenem Mund und geschlossenen Augen vor sich hinwimmerte. Tabori war übel, sein Kopf dröhnte. Irgendeine Flüssigkeit lief von seiner Stirn über die Nasenwurzel zum Auge – Blut. Er wollte mit der Hand nach der Wunde tasten, wo er auf die Tischkante geprallt war, aber seine Hände waren hinter seinem Rücken zusammengebunden. Auch seine Füße waren gefesselt.
    »Lepcke?«, fragte er leise in den Raum hinein.
    »Ich bin hier«, kam Lepckes Antwort augenblicklich. »Hinter dir. Aber ich kann mich nicht bewegen, ich bin zusammengeschnürt wie ein Paket. – Wir haben Scheiße gebaut, so sieht es aus. Wir haben uns benommen wie die letzten Anfänger.«
    »Bist du verletzt?«
    »Ich glaube nicht. Ein Schlag auf den Hinterkopf, der mich sauber ausgeknockt hat, und das war’s. Was ist mit dir?«
    »Ich muss

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