Kein Erbarmen
er fast während der ganzen Fahrt durch Dänemark geschlafen hatte, hatte er dann kurz hinter Ålborg das Steuer übernommen. Er fühlte sich ausgeruht, merkte aber deutlich die Anspannung, die ihn zunehmend nervöser werden ließ.
Lepcke versuchte zum wiederholten Mal, Sommerfelds Handy zu erreichen. Als sich wieder nur die Mailbox einschaltete, schob er das Autotelefon resigniert zurück in die Halterung.
»Du bist dir sicher, dass du dieses Ferienhaus wieder findest?«
Tabori nickte.
»Es war irgendwo hinter dem Campingplatz. Erst noch ein Stück durch den Wald und dann einen Schotterweg runter, der hinter der Klippe zur nächsten Strandzufahrt führt. Es gibt nur wenige Ferienhäuser da, aber beim letzten Mal bin ich fast vorbeigefahren, das Haus liegt gut versteckt zwischen den Hügeln, von der Straße fast nicht einzusehen.«
Sie waren sich schnell einig gewesen, wo sie mit ihrer Suche beginnen wollten. Dass Sommerfeld und Damaschke noch auf der Klippe wären, war so unwahrscheinlich, dass sie es einfach ignorieren konnten. Und da sie Sommerfeld nicht erreichten und auch keine Ahnung hatten, wo er selber ein Haus gemietet hatte, blieb ihnen nur das Ferienhaus, vor dem Tabori beim letzten Mal den blauen Nissan entdeckt hatte. Tabori hatte sich wieder an den Zettel der Ferienhaus-Vermittlung erinnert, der das Haus für den Rest des Sommers als nicht vermietet auswies. Es lag also nahe anzunehmen, dass Damaschke sich genau da versteckt hielt, das Risiko, dass von der Vermittlung noch mal jemand nach dem Rechten sah,war als gering einzuschätzen, alle anderen würden nur einen verspäteten Sommertouristen in Damaschke sehen. Wenn er schlau war, hatte er den Terminzettel einfach entfernt.
Wo Sommerfeld war, würden sie in Kürze ebenfalls wissen, wobei sie in stiller Übereinkunft davon ausgingen, dass die Chancen schlecht standen, Sommerfeld bei bester Gesundheit anzutreffen – wenn er denn überhaupt noch leben sollte. Damaschke als Täter schien unberechenbar, er hatte womöglich von Anfang an keinen Plan gehabt, sondern immer nur reagiert, und war damit umso gefährlicher.
Tabori und Lepcke entdeckten das Ferienhaus nahezu gleichzeitig, der blaue Nissan stand immer noch in der Einfahrt, dichter am Haus parkten jetzt zwei weitere Autos.
Tabori fuhr bis zu einer Kuhweide und rangierte den Passat so vor das Gatter, dass er die schmale Straße nicht blockierte. Das Haus war von hier aus nicht zu sehen, also würde auch niemand von dort aus den Wagen entdecken können.
In der Einfahrt zögerten sie einen Moment, dann nickte Tabori, geduckt schlichen sie bis zu den Krüppelkiefern, die die Giebelseite und die Terrasse des Hauses vor jedem Einblick abschirmen sollten. Wie kaum anders zu erwarten gewesen war, hatten die beiden neuen Wagen ebenfalls hannoversche Kennzeichen, ein völlig verdreckter Polo und ein Opel Zafira, dessen Fensterscheibe auf der Fahrerseite eingeschlagen war. Auf der Tür war die Werbeaufschrift einer Gebäudereinigungsfirma. Auf der Rückbank des Polos war irgendetwas unter einer karierten Decke verborgen, der Größe nach konnte es vielleicht eine Transportkiste für einen Hund sein. Nur dass sie Tabori für einen Schäferhund zu klein erschien. Und sie war im falschen Auto!
»Damaschke«, sagte Lepcke leise mit einem Kopfnicken zu dem Opel hin. »Er hat die Karre irgendwo in Hannover geklaut. Und Sommerfeld«, setzte er mit einem Blick auf den Polo hinzu.
Tabori zuckte mit der Schulter. »Ich weiß nicht, ich habe irgendwie in Erinnerung, dass er einen größeren Wagen hatte, aber ich kann mich irren.« Er streckte die Hand aus und hielt sie dicht über die Motorhaube des Polos, dann wiederholte er das Gleiche bei dem Opel.
Der Motor des Polos war deutlich heißer. Tabori hatte keine Ahnung, ob das wichtig war, aber irgendetwas übersahen sie gerade, da war er sich sicher.
Lepcke hatte sich zwischen die Kiefern geschoben, um mit seinem Minifernglas einen Blick auf die Terrasse zu bekommen. Tabori sah, wie er gleich darauf zurückzuckte. Als er den Kopf zu Tabori drehte, war sein Gesicht kreidebleich.
»Da liegt ein toter Hund auf der Terrasse«, stammelte er. »Deutscher Schäferhund, ganz eindeutig.«
»Woher weißt du, dass er tot ist?«, fragte Tabori zurück. »Vielleicht liegt er nur in der Sonne und schläft …«
»Unter dem Kopf ist eine Blutlache. Und er hat ein sauberes Einschussloch in der Stirn.«
Lepcke zog seine Waffe. Mit ein paar Schritten waren sie am Haus
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