Kein Fleisch macht gluecklich
töte. Dann bräuchte man seiner Ansicht nach kein Mitleid zu empfinden, »dann ist es ein Lebenszyklus, der beendet wird, ohne dass die andere Kreatur leidet«. Die Bracke bleibt im Auto, sie wird nur zur Nachsuche gebraucht. Falls er ein Tier doch nicht richtig trifft. Falls wir überhaupt eins treffen, denn die Wilddichte hier ist aufgrund von forstwirtschaftlichen Interessen nicht besonders hoch.
Trotz trüben Wetters sind heute Spaziergänger unterwegs. Mir ist es ein bisschen peinlich, als »Jäger« andere Waldnutzer anzutreffen. Nicht immer sind die Begegnungen freundlich, erzählt L. Diesmal schon. Er plaudert wie mit alten Bekannten. Auch in seinem Umfeld gibt es Leute, die Jäger für Rohlinge und brutale Menschen halten. Doch das entspricht nicht seiner Erfahrung mit der Jägerschaft. Er spürt da keine Schlachthofmentalität, sondern durchweg eine ausgeprägte Verantwortung – etwa wenn er Jagdgäste hat und die Nachsuche nach einem angeschossenen Tier am nächsten Tag fortgesetzt werden muss. »Da können die wenigsten schlafen. Die haben ein echt schlechtes Gewissen, weil sie einem Tier Schmerz verursachen.«
Ich folge L. ins Dickicht, der in dem dicken Tarnanzug und mit dem Gewehr am Rücken für mich eher wie ein Söldner als ein Jäger ausschaut. Fünf Meter geht es, ich voran, auf glitschigen Sprossen in die Höhe. Ich denke kurz an Jagdsaboteure, die auch gern mal Hochsitze ansägen. Dann sitzen wir in dem 30 Jahre alten gepolsterten Ansitz, mit Schiebefenster und einem Hornissennest, das inzwischen von Ohrenkneifern bewohnt wird. Hier fühlt sich L. »eingebettet in des Lebens Kommen und Gehen«, wie er sagt, inmitten einer ziemlich unberührten Natur. Daraus zieht er seelisch-geistigen Gewinn. »Hier sind Sie in einer anderen Welt, vor allem auch nachts, da kommt das Mystische. Das ist eine Faszination, die einen zurückführt an die Ursprünge, wo wir herkommen.«
Auf die Pirsch geht ein Jäger lieber gut getarnt. Es muss aber nicht immer der klassische Lodenmantel sein.
Seit wir den Weg verlassen haben, wird nur noch geflüstert. Ich muss husten. »Das sind die Waffen eines Vegetariers«, scherzt L. Er hat mir zuvor den Ball zugeschoben, ich solle, wenn es so weit sei, entscheiden, ob er abdrücken soll oder nicht. Es ist klar, dass ich das nicht will, auch wenn mich wahrlich interessiert, wie ich den Tod eines Rehs oder Wildschweins erleben würde. L. ist durchaus motiviert, Beute zu machen. Er schießt nur Tiere, die er essen kann, und er isst gerne Wildbret. Seine Tiefkühltruhe ist leer, und die letzte Jagd liegt etliche Wochen zurück. Vor uns liegt ein Wildacker mit Senfpflanzen für die Rehe und Wildschweine sowie das Gewehr, das mich – abgesehen von Gewicht und Zielfernrohr – an meine Winnetou-Silberbüchse aus Kindertagen erinnert. Mit dem Fadenkreuz kommt es mir nahezu simpel vor, etwas ins Visier zu nehmen, selbst über eine Distanz von 80 Metern. Ein Tier aus dieser Entfernung zu schießen, würde mir vermutlich leichter fallen als aus nächster Nähe. Nur will ich es nicht, egal, ob ich glaube, ein Tier zu »kennen« oder nicht. Das höchste Jägergebot (»Was du nicht kennst, das schieß nicht tot!«) geht mir da nicht weit genug. Ein Waldkauz ruft. Ansonsten schluckt der aufziehende Nebel alle Geräusche. Ob das nicht seltsam sei, über das Leben eines Tieres zu entscheiden, frage ich. »Bevor Sie als Jäger das Gewehr in die Hand nehmen«, sagt L., »müssen Sie die Entscheidung über Leben und Tod schon getroffen und sich über diese inneren Skrupel hinweggesetzt haben, eine Kreatur aus der Wildbahn zu nehmen.« Das Töten erfolgt nach Regeln. Taucht ein Reh mit seinem Kitz auf, schießt er zuerst das Kitz. Nie umgekehrt. Häufig schaut sich das Reh nach dem Kitz um, dann schießt er das »zweite Stück«. Tierkinder zu töten klingt grausam für mich, doch mir fällt ein, dass in der Landwirtschaft die allermeisten Nutztiere schon im Kindes- oder Jugendalter geschlachtet werden, ohne dass sie jemals Zeit mit ihrer Mutter verbracht hätten.
Es sei für den Jäger allerdings wichtig, das Töten richtig einzuordnen, nämlich als etwas, das zum Leben dazugehöre, sonst schade er sich letztendlich seelisch, sagt L., und er bringe sich um die Chance, die die Jagd biete. Und weil man als Jäger in den Kreislauf aus Leben und Tod eingeordnet sei und das durch sein Handeln repräsentiere, habe die Jagd für ihn einen besonderen Stellenwert in der Gesellschaft. Aber L. kennt
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